Grote, P
vielsagend um.
In dieser Art ging es weiter, und Martin konnte nicht eine einzige Frage wirklich beantworten, es blieb ihm nur, die Familie zu beruhigen, Allgemeinheiten zum Besten zu geben und diese irgendwie mit Grigores Leben in Verbindung zu bringen. Er schämte sich für die Lügen wie nie zuvor in seinem Leben, denn diese Leute schienen ihm grundanständig zu sein. Aber es wäre noch verletzender gewesen, ihnen gar nichts zu sagen. Irgendwann am Nachmittag, Martin war völlig übermüdet und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, nahm ihn Jürgen Werner mit zu sich und kam unterwegs auf den Grund zu sprechen, weshalb Grigore nicht nach Rumänien zurück wollte.
»Sein Vater hat am Palast in Bukarest mitgearbeitet«, vertraute ihm Jürgen Werner an. »Wegen der schlechten Bedingungen hat er damals seine Brigade aufgehetzt, wie sie sagten. Man bezeichnete ihn als Agent des Klassenfeindes und Volksschädling. Er war Kunsttischler, eigentlich mehr ein Künstler, und im Gefängnis haben sie ihm die Finger gebrochen. Das waren nicht die von der Partei selbst, die haben die Drecksarbeit immer von Kriminellen machen lassen, so wie bei euch in den Konzentrationslagern die Kapos. Er hat sich aufgehängt, die Familie wurde danach nicht weiter unterstützt, sie haben alles verloren. Ohne Grigore mit seinem Auslandsjob hätten sie nichts. Er hasst Rumänien. Deshalb kommt er nicht zurück, wahrscheinlich niemals.«
Und ich auch nicht, wenn er mir nicht hilft, dachte Martin und überlegte, wie er das Thema auf sein Anliegenbringen konnte. Wie viele Schicksale dieser Art gab es noch? Mal war von zwei Millionen Rumänen die Rede, mal von vier, die das Land verlassen hatten, und das Geld, das sie nach Hause schickten, summierte sich auf Milliarden, eine wichtige Stütze der Wirtschaft, des Finanzsystems und, was viel wichtiger war, von Grigores Familie.
»Weshalb hat der Schwager keine Arbeit? Was ist er von Beruf?«
»Er hat gearbeitet, in der Nachtschicht, aber was wollen Sie mit zweihundert Euro kaufen? Die Regierung will, dass alle Rumänen zurückkommen, aber die werden sich hüten. Jetzt erzählen Sie mal von sich . . .«
»Ich habe ein Problem . . .«
»Das haben wir uns gedacht, sonst wären Sie kaum hier aufgetaucht oder längst wieder weg.«
»Ich muss mit Grigore sprechen, in Bordeaux, am Telefon. Gibt es eine Nummer? Wenn ich mit ihm gesprochen habe, wird er Ihnen und seiner Familie alles erzählen.«
»Ich kümmere mich darum.« Jürgen Werner lächelte. »Sie brauchen Schlaf, Sie sehen übernächtigt aus, Ihr Problem sieht man Ihnen an. Vielleicht sollte das besser nicht so sein? Machen Sie es sich bei mir auf dem Sofa bequem, ich kümmere mich um alles. Da, der Rucksack, mehr haben Sie nicht? Sieht fast aus wie auf der Flucht. Ich kenne solche Leute. So sahen sie aus, wenn ich sie zum letzen Mal gesehen habe.« Er lachte.
»Mehr ist nicht übrig.« Martin dachte an die Pistole, er musste sie dringend loswerden.
»Sind Sie ausgeraubt worden?«
»Man könnte es so nennen.«
Jürgen Werners Haus war auch sehr einfach, nur das Nötigste war vorhanden, aber im Vergleich zu dem Haus der Constantinescus bedeutend besser eingerichtet. Martin machte es sich auf dem Sofa bequem, während sein Gastgeber kochte. Seine Frau war vor zwei Jahren gestorben, undseitdem musste er das Haus allein in Ordnung halten, sauber machen, einkaufen und seine Kleidung flicken.
Später aßen sie zusammen, es kam sogar eine Flasche Wein auf den Tisch, sie trug das gleiche Etikett wie jene Flasche, die Tudor Dragos ihm im Agrarministerium hatte überreichen lassen. Jürgen Werner war es peinlich. »Mehr ist leider nicht drin. Mein Bruder war Kellermeister, früher, es ist lange her, aber er ist verschwunden, seine Familie auch . . .«
War der Bruder jener Kellermeister, der den Zodiac gemacht hatte? Der Kreis schließt sich, dachte Martin. Er stellte besser keine Fragen, denn er war heilfroh, dass auch der Siebenbürger Sachse, der ihn aufgenommen hatte und der ihm weiterhelfen wollte, sich zurückhielt. Er hatte es in seinem Leben lernen müssen, er brachte Martin nicht ein einziges Mal in Verlegenheit. Am frühen Abend begannen sie von einem Hotel in der Stadt aus zu telefonieren. Erst um dreiundzwanzig Uhr kam die gewünschte Verbindung nach Frankreich zustande.
27
Charlotte schloss die Haustür auf und zerrte ihren Koffer in den Flur. Erschöpft stellte sie die Handtasche auf die Garderobe und hängte die
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