Grrrimm (German Edition)
wurde wirklich ganz besonders prächtig. Die Tische waren rosa dekoriert und die Kuchen so süß, dass sie zwischen den Zähnen knirschten. Gegen Mitternacht lieferten alle ihre Geschenke ab. Die Königin nahm sie mit beiden Händen entgegen und achtete darauf, dass auch an jedem Geschenk ein Wappen hing, damit man später noch wusste, bei wem man sich wofür zu bedanken hatte. Als Letzte traten die Feen an die Wiege. Die erste Fee hob ihren Zauberstab und schenkte der kleinen Prinzessin Anmut, die zweite Fee schenkte ihr Schönheit, die dritte logisches Denkvermögen, die vierte feste Fingernägel und gesundes Haar, die fünfte guten Geschmack, und so ging es weiter, bis beinahe alle Feen ihren Wunsch getan hatten und nur noch die zwölfte übrig war. Bevor aber die zwölfte ihren Wunsch tun konnte, flog auf einmal die Tür auf, und die dreizehnte Fee, Cousine Fanny, stürmte herein. Sie war ganz in Violett gekleidet und trug statt einer einfachen Haube eine Kopfbedeckung, die links und rechts in zwei gedrehte Hörner auslief. Alle starrten sie an.
»Kann es sein, dass ihr vergessen habt, mich einzuladen?«, fragte die Fee scharf.
»Ach Fannylein«, sagte König Otto, »ich wollte ja, dass du kommst. Aber Augusta … es ist ja nun einmal ihr Fest, und da kann ich ihr ja schlecht reinreden. Du weißt, wie wenig ich Streit aushalten kann. Aber wir können uns ja trotzdem mal treffen, … bei dir … ohne Augusta. Dass ihr euch nicht mögt, muss ja nicht heißen …«
»Du bist doch ein unglaublicher Schwächling«, sagte die dreizehnte Fee, »du bist ja noch schlimmer als dein gehässiges Weib. Mit uns ist es aus. Für immer. Und jetzt werde ich eure Tochter verfluchen! Wie heißt das Balg eigentlich? Ah, da steht’s ja auf der Wiege: Florentine!«
Prinzessin Florentine wachte auf, ballte die Fäustchen und fing an zu weinen.
»Aber Fannylein«, rief König Otto, »das willst du doch nicht wirklich tun! Wo wir doch zusammen aufgewachsen und gemeinsam älter und dicker geworden sind …«
»Du vielleicht, ich bestimmt nicht«, schnarrte die dreizehnte Fee und breitete die Arme aus. Ihr violetter Mantel entfaltete sich knallend. Er war innen mit einem leuchtend roten Stoff gefüttert, auf den lauter böse Augen gemalt waren.
»Prinzessin Florentine wird sich an ihrem fünfzehnten Geburtstag mit einer Spindel in den Finger stechen und tot zu Boden fallen«, rief Fanny, und damit rauschte sie aus dem Saal, und der bedrohliche Mantel flatterte, nach allen Seiten äugend, hinter ihr her. Jetzt war die Stimmung natürlich verdorben. Die Gäste sahen betreten zu Boden. Es war die zwölfte Fee, die als Erste etwas sagte.
»Zum Glück habe ich meinen Wunsch noch nicht getan.«
»Ja, was für ein Glück, liebe Patin«, rief der König, »oh, bitte, mach den Fluch meiner Cousine ungeschehen.«
»Das geht leider nicht«, antwortete die zwölfte Fee. »Ein Fluch ist auch eine Art Geschenk. Und Feengeschenke halten immer mindestens hundert Jahre. Ich kann den Fluch aber ein bisschen mildern.«
»Ja, mildere ihn«, sagte Königin Augusta. »Meine Tochter kann sich ja meinetwegen an ihrem fünfzehnten Geburtstag an einer Spindel stechen, aber deswegen muss sie doch nicht gleich tot umfallen.«
»Nein«, erwiderte die zwölfte Fee, »stattdessen soll die Königstochter in einen hundertjährigen Schlaf fallen.«
»Aber dann wird meine Tochter ja furchtbar alt sein, wenn sie wieder aufwacht«, rief die Königin.
»Es wird kein normaler Schlaf sein«, sagte die zwölfte Fee, »sondern ein Zustand konservierender Leblosigkeit – wie der Trockenschlaf einer Moosspore, die nach jahrelangem Aufenthalt in einem Herbarium in längst verloren geglaubter Frische sofort wieder zu keimen und zu wachsen beginnt, wenn man sie nur in feuchte Erde setzt.«
»Wieso denn gerade hundert Jahre? Warum nicht zehn? Oder fünf? Ich werde überhaupt nichts von meiner Tochter haben, wenn sie so lange schläft. Und wenn sie endlich aufwacht, ist sie völlig allein auf der Welt, niemand weiß, dass sie eine Prinzessin ist, und sie muss als die ärmste Gänsemagd gehen.«
Die zwölfte Fee bedachte dieses Argument, und wenn sie sich auch nicht von den hundert Jahren abbringen ließ, so ergänzte sie ihren Wunsch doch dahingehend, dass zusammen mit der Prinzessin auch alle Bewohner des Schlosses in den Schlaf fallen sollten.
»Man wird uns ausrauben, während wir schlafen«, rief Königin Augusta. »Wenn wir nach hundert Jahren aufwachen, werden
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