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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Bohnen, Erbsen, grünen Pudding und ab und zu einen Frosch oder ein Stück verschimmeltes Brot gegessen. Dann hatte sich die Meinung der Wissenschaft grundlegend gewandelt, nun galt grün als ausgesprochen schädlich, und die einzigen lebensverlängernden Nahrungsmittel waren die von weißer Farbe. Von da an aß der geduldige Prinz nur noch Sahne, Zucker, Salz, Sellerie, gehäuteten Fisch und Hühnerfleisch. Nach wie vor aber achtete er darauf, sich nicht aufzuregen, und zweifelte niemals daran, dass er Prinzessin Florentine wiedersehen würde. Denn darin waren sich alle Ärzte einig, dass Zweifel der Verlängerung der menschlichen Daseinsdauer am allerabträglichsten war.
    »So ist es, Zweifel zernagt das Herz – genau wie der Kummer, wenn einem von den eigenen Verwandten Unrecht angetan worden ist«, sagte auch seine alte Patin, die Fee Fanny, die ihn zweimal die Woche besuchte. Sie hatte König Otto und Königin Augusta niemals verziehen, dass sie nicht zur Taufe eingeladen worden war, und erwähnte es bei jeder Gelegenheit. Prinz Alphons war der Einzige, der noch die Geduld aufbrachte, sich ihre ewig gleichen Hass- und Jammertiraden anzuhören.
    »Es war natürlich Augusta, dieser Satansbraten! Von sich aus hätte Otto das nie getan«, sagte die Fee und schneuzte sich ausgiebig in ein türkisfarbenes Taschentuch mit roten Fransen.
    »Gewiss«, erwiderte Alphons, der das Thema nun bereits seit Jahrzehnten mit ihr erörterte.
    »Augusta wollte uns schon immer auseinanderbringen, und jetzt hat sie es geschafft und triumphiert.«
    »Aber nein, Tante Fanny, Augusta kann überhaupt nicht triumphieren. Sie liegt wie die ganze Familie in einem hundertjährigen Schlaf«, sagte Alphons und dachte daran, dass er seine langsam wachsenden Bäume mal wieder beschneiden müsste.
    »Aber wenn sie aufwacht! Wenn sie aufwacht, wird sie über mich triumphieren – und wie!«, rief die Fee.
    »Mein Gott, Tante Fanny, wie lange ist es jetzt her? Zweiundvierzig Jahre! Vergiss es endlich! Übrigens siehst du erstaunlich jung aus, dafür, dass der Kummer seit zweiundvierzig Jahren an deinem Herzen nagt. Wie machst du das bloß?«
    »Ich wäre ja schön dumm, wenn ich meine Feenkünste nicht auch bei mir selber anwenden würde«, antwortete seine Patin geschmeichelt, um dann wieder neu anzusetzen: »Otto ist vielleicht feige, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, mich nicht einzuladen. Es war dieser Teufel.«
    Der geduldige Prinz reichte Patentante Fanny ein frisches Taschentuch und fragte möglichst beiläufig, ob sie ihre Feenkünste nicht auch bei ihm anwenden und die Beschwerden und Entstellungen, die das Alter bisher schon mit sich gebracht hatte, rückgängig machen könnte – oder wenigstens ihr Fortschreiten verzögern. Etwas harthörig sei er bereits geworden, lesen könne er nur noch, wenn er ein Buch auf Armeslänge von sich halte, an seinem Hals und unter den Augen hingen unschöne Lappen und immer mehr Haare wüchsen ihm aus der Nase.
    »Am Ende erkennt mich Florentine überhaupt nicht mehr, wenn sie aus ihrem hundertjährigen Schlaf erwacht.«
    »Denkst du, ich helfe dir auch noch dabei, dich mit meinen Feinden zu verbünden?«, fuhr die Fee auf. »Nein, nein, du sollst verschrumpeln und sterben, wie das von der Natur vorgesehen ist. Bevor Florentine wieder aufwacht, bist du längst tot.«
    »Na, vielen lieben Dank auch«, antwortete Alphons, »ganz reizend von dir. Aber wenn du dich da mal nicht täuschst. Vergiss nicht, dass du mir zur Taufe das Geschenk der Geduld gemacht hast.«
    »Geduld nützt dir dabei auch nichts«, sagte die Fee. »Die schlafende Sippschaft wacht erst in achtundfünfzig Jahren wieder auf. So lange hältst du nie durch.«
    Je älter Prinz Alphons wurde, desto einsamer wurde er auch. Es war lange her, dass seine Eltern gestorben waren, und bald war es auch schon lange her, dass er an sie gedacht hatte. Er hatte seinen jüngeren Bruder sterben sehen und dann sogar dessen Sohn. Inzwischen saß dessen Sohn auf dem Thron und war auch nicht mehr jung. Alphons sah die jungen Damen verdorren und faltig werden, mit denen er immer so gern getanzt hatte, obwohl Tanzen nach Meinung der Ärzte das Leben verkürzte. Dann starben auch die alt gewordenen jungen Damen, und er wurde ganz allein immer älter und hässlicher. Er schrumpfte zusammen, seine Haut war wie Pergament, auf den fleckigen Händen wanden sich die Venen wie blaue Raupen, seine Nase wurde immer spitzer, die Augenlider sahen aus wie dickes

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