Grrrimm (German Edition)
Er lässt schön grüßen, aber ich soll dir ausrichten, du kommst nicht herein, bevor du nicht zugibst, dass du die Leber von dem Lamm gegessen hast.«
»Ach verflixt, das ist eine fixe Idee von ihm«, sagte Bruder Lustig, »daran hat er sich nun einmal festgebissen. Er denkt, ich hätte ihm seine Leber weggegessen, dabei weiß doch jeder, dass ein Lamm keine hat.«
»Soso«, sagte der heilige Petrus, setzte sich wieder auf seinen Pförtnerstuhl und blätterte eine Zeitschrift auf.
»Kannst du mich nicht einfach reinlassen?«, fragte Bruder Lustig, »ich regle das dann schon mit meinem Freund.«
»Nein.«
»Dann sag ihm, er ist die längste Zeit mein Freund gewesen«, rief Bruder Lustig, »sag ihm, wenn er aus lauter Rechthaberei nicht einmal ein Wort für mich einlegen will, dann kann er auch seine blöde Jutetasche wiederhaben. Dann will ich gar nichts von ihm haben.«
»So gib sie her«, sagte der heilige Petrus, und Bruder Lustig reichte die Tasche durchs Gitter.
»Bring sie ihm nur gleich, damit er weiß, was ich von ihm halte.«
Der heilige Petrus nickte und ging mit der Tasche in den Himmel hinein. Da sprach der Bruder Lustig:
»Nun wünsche ich mich selbst in die Tasche.«
Und schwupps saß er darin und war im Himmel.
Der Herr Jesus ließ ihn ein paar Jahre in der kratzigen Tasche schmoren, aber schließlich holte er ihn doch noch heraus, und als der Bruder Lustig geblendet von all dem himmlischen Glanz vor ihm stand, sagte er zu ihm: »Nun bist du also doch in den Himmel gelangt und du darfst hier auch bleiben. Aber können wir uns darauf einigen, dass wir uns nie wieder über Lämmer und ihre Lebern unterhalten?«
»Meinetwegen gern«, sagte Bruder Lustig, »du warst es doch, der …«
»Schhhh …«, sagte der Herrgott, hob die gespreizten Hände vor sich und schloss die Augen, »nicht immer das letzte Wort haben wollen, ja? … Einfach bloß mal schweigen …«
Grrrimm
n diesem Winter waren die Wölfe bis ins Dorf gekommen. Morgens fand man ihre Spuren im Schnee, und die Müllsäcke waren zerfetzt. Seit die EU-Gelder ausblieben, versuchte die Bezirksverwaltung zu sparen, wo sie konnte und sich niemand beschwerte, und im September war die Müllabfuhr zum letzten Mal den ganzen Berg hinauf bis nach Vifor gekommen. Mauern aus grauen Säcken zogen sich seitdem bauchhoch die Straßen entlang, und nachts machten sich die Wölfe darüber her. Verkrustete Batterien, Apfelsinenschalen, Hühnerknochen und schmutzige Windeln lagen überall herum, Plastiktüten und Papierfetzen wehten die Straßen entlang, und in der Mitte des Kreisverkehrs, der vor einigen Jahren angelegt worden war, als man noch glaubte, aus Vifor einen mondänen Skiort machen zu können, steckte eine Puppe ohne Arme kopfüber in einer Schneewehe.
Kimi Topolov, dessen Job als Gemeindediener ihm bisher kaum mehr abverlangt hatte, als seine Schafe in der Mitte von Vifors einzigem Kreisverkehr weiden zu lassen, hatte wenig Lust, mit Müllsack, Nagelstock und gelben Gummihandschuhen durchs Dorf zu laufen und den Dreck seiner Nachbarn aufzuspießen. Deswegen beschloss er, lieber gleich die Ursache des ganzen Ärgers zu beseitigen, lieh sich von seinem Onkel ein Gewehr und legte sich eines Nachts vor dem Internetcafé auf die Lauer. Dort hatten die Wölfe besonders schlimm gehaust. Istvan Brani, dem der vierte Teil des Internetcafés gehörte, leistete ihm Gesellschaft. Etwa zwei Stunden warteten sie schon – Kimi verkehrt herum auf seinem Küchenstuhl hockend, den Lauf des Gewehrs auf der Lehne und den Gewehrkolben locker auf einem Schenkel balancierend, während Istvan neben ihm stand und ihm seine Theorie auseinandersetzte, nach der es bloß deswegen Wölfe in Vifor gab, weil selbsternannte Tierschützer vor zehn Jahren Wolfswelpen im Kofferraum ihres Autos heraufgebracht hätten. Es gab kein Licht außer dem, was der Schnee reflektierte. Vifors Straßenbeleuchtung bestand aus zwei rostigen Lampen, die an Drähten über der Hauptstraße hingen, und die waren schon seit mehreren Wochen ohne Strom. Ob die Leitung gerissen war oder ob es sich um eine weitere Sparmaßnahme der Bezirksverwaltung handelte, würde sich erst noch herausstellen müssen. Irgendwann ging Istvan hinter das Café, um sich zu erleichtern. Kimi, dessen Füße sich inzwischen kalt und taub anfühlten, lehnte sein Gewehr an die Hauswand, ging ein paar Schritte, stampfte tüchtig mit den Stiefeln und schlug die Arme um sich. Dann setzte er sich wieder und
Weitere Kostenlose Bücher