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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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herum?«, fragte meine Mutter, und kürzte sich mit dem Kartoffelschälmesser den Daumennagel.
    »Es tut eben weh«, schnauzte mein Vater, »die Bisse tun höllisch weh, und ich habe nicht mal eine Aspirin. Aber das interessiert hier ja niemanden. Eines der Kinder muss zur Apotheke gehen.«
    »Und womit sollen wir das bezahlen?«, keifte meine Mutter. »Du hast doch wieder alles versoffen. Eines Tages werden sie uns noch diese Bruchbude unter dem Hintern wegpfänden.«
    »Soll ich hier verrecken, bloß weil du zu geizig bist, mir ein paar Tabletten zu kaufen?«, brüllte mein Vater. »Dann soll deine Mutter mir etwas zusammenbrauen, die kann das doch, die alte Hexe.«
    Meine Geschwister sahen unruhig zu meiner Mutter herüber. Sie hofften wie ich, dass sie es nicht zulassen würde, dass einer von uns den Weg zur Großmutter antreten musste, der nicht nur lang und anstrengend war – fast die halbe Strecke bis Schiponek –, sondern auch durch den Wald führte, wo immer noch der Wolf sein Unwesen trieb, der Istvan Brani und unseren Vater gebissen hatte.
    »Kinder«, sagte meine Mutter, »einer von euch muss zur Großmutter gehen.«
    Meine Geschwister sahen zu Boden. Und dann sahen sie alle mich an.
    »Rotkäppchen«, sagte meine Mutter, »nimm diesen Korb, eine Flasche Wein und den Kuchen, den ich heute Nachmittag gebacken habe, und bringe ihn der Großmutter. Sie hat lange keinen Besuch mehr gehabt. Und wenn du schon einmal bei ihr bist, frage sie bei der Gelegenheit auch gleich einmal nach Medikamenten gegen Kopfschmerzen und gegen Fieber und Erkältungen, überhaupt alles, was sie dahat. Als wir sie das letzte Mal besuchten, habe ich eine angebrochene Packung Paracetamol in ihrem Alibert gesehen. Und falls sie gar nichts hat, soll sie dir eben etwas aus ihren Kräutern brauen.«
    »Jetzt?«, sagte ich. »Es ist ja schon halb zwei. Hin und zurück, das schaffe ich nicht, bevor es dunkel wird.«
    »Ach, wenn du dich ein bisschen beeilst und nicht herumtrödelst und Blumen pflückst, solltest du das schon schaffen«, meinte meine Mutter. Ich antwortete, dass es draußen schneie und es gar keine Blumen mehr gebe, und da sagte meine Mutter: »Na, siehst du, dann steht dem ja nichts mehr im Wege. Und vergiss nicht, das rote Käppchen aufzusetzen, Großmutter freut sich, wenn sie das Käppchen an dir sieht, und wir können uns nicht erlauben, sie zu verärgern. Vielleicht gibt sie dir ja etwas Geld für Annies Schulausflug. Erzähle ihr, dass Annie einen Schulausflug macht.«
    Die rote Kappe, die ich aufsetzen sollte, hatte meine Großmutter eigentlich für Petronella gehäkelt, die das Lieblingskind meiner Großmutter war. Aber Petronella hatte sich auf den Boden geworfen und gellend geschrien, wenn man die rote Kappe nur in ihre Nähe brachte. Und da hatte meine Mutter bestimmt, dass ich Petronella meine schwarze Mütze geben und dafür die rote Kappe aufsetzen sollte, sonst wäre Großmutter gekränkt und das wolle ich doch wohl nicht.
    Ich zog den dicken Pullover meiner Schwester Annie an und darüber die Daunenjacke meines ältesten Bruders Joppi, die bis weit über meine wollenen Röcke hinunterreichte, lieh mir die Fäustlinge meines Vaters und die Moonboots meiner Mutter, legte noch ein langes scharfes Messer in den Korb neben den Kuchen, setzte zuletzt auch noch die verdammte rote Kappe auf und machte mich auf den Weg.
    »Blutbeule«, zischte Petronella mir über ihr Hausaufgabenheft zu und kicherte.
    Es schneite nicht mehr. Und bis zwei Kilometer außerhalb Vifors war die Schneeschicht auf der Straße halbwegs plattgefahren, aber hinter dem Abzweig nach Schostinek versank ich bis zu den Knien, und deswegen sagte ich mir, dass ich ganz genauso gut die Abkürzung durch den Wald nehmen konnte. Im Wald war der Schnee sogar weniger tief, weil die Bäume einen Teil davon abgefangen hatten, und ich kam gut voran, aber die ganze Zeit war mir unheimlich zumute. Einmal hörte ich einen Wolf heulen – dreimal lang, zweimal kurz –, zum Glück war er ziemlich weit weg. Trotzdem griff ich nach dem Messer und schritt rascher und immer rascher vorwärts, in der rechten Hand das Messer, links am Arm den Korb, in dem der Kuchen und die Weinflasche hüpften. Ich hoffte, dass ich es mir nur einbildete, aber seit einiger Zeit hatte ich das ungute Gefühl, dass sich auf meiner rechten Seite und in nicht allzu großer Entfernung etwas parallel zu mir bewegte. Schnee rieselte, Zweige knackten, aber vielleicht war das ja auch nur das

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