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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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haargenau so aussah wie die Mützen, die die anderen Mädchen trugen, aber Elsie sagte, dafür sei es jetzt zu spät, und sie habe die Absicht, die rote Kappe bis an ihr Lebensende zu tragen, und anschließend wolle sie damit auch begraben werden. Sie wirkte immer so nett und freundlich, aber wenn es darauf ankam, war sie ganz schön hart, und das musste sie bei dieser Verwandtschaft wohl auch sein. Wir waren bloß Freunde, wir gingen zusammen ins Kino und so, und wir waren uns einig, dass unsere einzige Chance darin bestand, dieses Kaff so früh wie möglich zu verlassen. Als ich mich endlich traute, ihr zu sagen, dass ich gern richtig mit ihr zusammen sein wollte, sagte Rotkäppchen, dafür wäre ich zu klein. »Zu jung«, verbesserte sie sich, aber ich hatte sie schon verstanden. Außerdem war ich bloß ein Jahr jünger als sie. Dann bekam mein Vater Arbeit beim Gleisbau und meine Familie zog fünfzehn Kilometer bergab nach Schiponek. Durch meinen Vater bekam ich dann ebenfalls einen Job beim Gleisbau, und in den nächsten zwei Jahren wuchs ich vierzehn Zentimeter und nahm zwanzig Kilo reine Muskelmasse zu. Die ganze Zeit fuhr ich kein einziges Mal nach Vifor hinauf – so verletzt war ich. Aber irgendwann stand ich morgens mit nacktem Oberkörper vor dem Spiegel und dachte, dass Rotkäppchen es zwar nicht verdient hatte, dass ich je wieder auch nur einen einzigen Blick an sie verschwendete, dass es aber möglicherweise an der Zeit sein könnte, dass sie mich zu sehen bekam. Ich nahm mir vor, gleich am nächsten Wochenende per Anhalter hinauf nach Vifor zu fahren. Aber am Donnerstag hatte ich dann den Unfall, und danach war ich ja erst mal weg vom Fenster.
    Elsie
    Der Tag war zunächst ganz gewöhnlich verlaufen. Nach der Schule saß ich mit meiner jüngsten Schwester Petronella am Tisch und half ihr bei den Hausaufgaben. Meine Mutter saß bei uns und schälte Kartoffeln. Es war sehr kalt, der Wind jaulte ums Haus und Schneeflocken wirbelten vor den Fenstern. Deswegen hatten wir den Tisch in die Nähe des Ofens gerückt. Meine Brüder kämpften bäuchlings auf dem Dielenboden liegend mit ihren Spielkonsolen gegeneinander, und meine anderen Schwestern hockten im Schneidersitz auf dem Teppich und flochten Körbe aus bunten Plastikstreifen, die sie im Sommer an die Touristen verkaufen wollten. Direkt vor dem Ofen saß mein Vater in seinem Schaukelstuhl und wiegte sich leise jammernd hin und her. Vor vier Wochen war er von einem Wolf gebissen worden. Völlig zerschunden und blutüberströmt war er mit Istvan Brani von der Jagd nach Hause gekommen. Vater hatte mehrere böse Wunden gehabt, die an den Rändern ausgefranst waren und sich vom Schlüsselbein über die Schulter bis in die Nähe des Rückgrats verteilten. Meine Mutter hatte sofort eine Flasche Kopolsky darübergeschüttet. Bei Istvan sah es eigentlich gar nicht so schlimm aus: außer ein paar Schrammen und blauen Flecken hatte er nur einen einzigen Biss am Arm abbekommen, und nachdem meine Mutter ihn ebenfalls mit Kopolsky versorgt hatte, ging er zu Fuß in seine Junggesellenwohnung. Aber am darauffolgenden Tag entzündete sich die Wunde an seinem Arm und begann zu nässen und zu stinken. Er bekam Fieber und musste sich ins Bett legen, hielt es jedoch für übertrieben, deswegen gleich einen Arzt anzurufen. Am dritten Tag wurde der Gestank so übel, dass sich niemand mehr mit ihm im selben Haus aufhalten wollte, und Istvan sprach dem Arzt aus Schostinek auf den Anrufbeantworter. Meine Eltern schickten mich zu ihm, ihn zu pflegen. Schließlich hatte er meinen Vater gerettet. Alle zwei Stunden wusch ich die eiternden, stinkenden Löcher in seinem Arm, aber es ging ihm bloß schlechter und immer schlechter. Inzwischen mussten sich sogar die Leute, die am Haus vorbeigingen, die Nase zuhalten. Als der Arzt am fünften Tag kam, konnte er nur noch die Fenster aufreißen und den Totenschein ausstellen. Mein Vater schien hingegen noch einmal davongekommen zu sein. Die scheußlichen Wunden heilten zu, und er konnte schon nach wenigen Tagen das Bett wieder verlassen und seinen gewohnten Wirtshausbesuchen nachgehen. Dann verschlechterte sich sein Zustand plötzlich. Die Narben auf der Schulter brachen auf, und es stellte sich heraus, dass es darunter die ganze Zeit geeitert hatte. Auch mein Vater bekam Fieber, dazu noch Schüttelfrost. Ständig saß er vor dem Ofen, pulte an seinen durchgesuppten Verbänden, und jammerte vor sich hin.
    »Was zappelst und winselst du da

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