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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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bevor wir das Haus von Großmutter erreichten, hatte Rocky schon Gelegenheit, seine Qualitäten als Wach- und Schutzhund vorzuführen. Er bellte nicht, aber er erstarrte plötzlich mitten im Lauf, winkelte anmutig ein Vorderbein an und starrte mit gesträubtem Fell auf ein Dickicht, aus dem kurz darauf ein Mann mit einer Augenklappe trat. Wenn der Wolfhund nicht dabei gewesen wäre, wäre ich vermutlich vor Schreck gestorben.
    Stepan
    Ich will das jetzt nicht unnötig spannend machen – der Mann mit der Augenklappe war natürlich ich. Und außer der Augenklappe hatte ich auch noch eine fingerdicke wulstige Narbe, die von links nach rechts quer über meine Stirn lief, und in die Haut meiner rechten Wange war ein fast waschlappengroßer, unnatürlich straffer und wie poliert wirkender Flicken aus der Haut meines Oberschenkels eingesetzt.
    Es war das erste Mal nach fast drei Jahren, dass ich Rotkäppchen wiedersah. Und dann hatte sie auch noch diesen Köter dabei, den ich zuerst für einen Wolf hielt. Dolle Sache! Der Wolf fletschte die Zähne und fixierte mich, die Ohren leicht gespitzt, als warte er nur darauf, dass ich eine falsche Bewegung machte. Ein tiefes Grollen kam aus seiner Kehle: »Grrrrimm.«
    »Stepan? Bist du es, Stepan?«, fragte Rotkäppchen, nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte. Schwer zu sagen, ob sie mich trotz oder wegen meiner entstellten Visage erkannte. Jeder hier in der Gegend hatte ja von meinem Unfall gehört. Es war sogar im Fernsehen gewesen: Stepan Nicolae, die medizinische Sensation. Ich hatte die Spitze eines Felsens wegsprengen sollen, nichts Großes, nur die Spitze eines Felsens, die ärgerlicherweise genau da aus dem Boden schaute, wo die Eisenbahngleise verlaufen sollten. Das Loch war schon gebohrt, etwa anderthalb Meter tief, eine schmale Röhre, und meine Aufgabe war es, das Päckchen Sprenggelatine auf dem Grund der Röhre zu platzieren. Dafür hatte ich einen Eisenstab bei mir, 3 cm dick und 110 cm lang, mit dem ich das Päckchen langsam und sehr vorsichtig nach unten schob. Da ich es auf keinen Fall pressen durfte, beugte ich mich nach einer Weile über das Loch, leuchtete mit einer Taschenlampe hinein und versuchte, an dem Eisenstab vorbeizusehen, wie weit ich schon gekommen war. Und da ging die Detonation los. Ich erinnere mich an alles, denn ich blieb die ganze Zeit bei Bewusstsein. Der ungeheure, sämtliche Sinneswahrnehmungen auslöschende Knall, und dann lag ich auf dem Boden, ein grelles Pfeifen in den Ohren, und irgendetwas schien mein rechtes Auge zu verkleben. Als ich dort hingriff, ertastete ich die rostige Rundung der Eisenstange, deren Ende anscheinend in meiner Augenhöhle steckte. Ich versuchte mich aufzurichten und merkte, dass mein Kopf unglaublich schwer und völlig aus dem Gleichgewicht war, irgendetwas zog mich nach hinten. Ich tastete nach meinem Hinterkopf, und in einem Nest aus nassen und schleimigen Haaren fühlte ich das andere Ende der Eisenstange, die mir dort wieder aus dem Schädel getreten war. Mein Vater war als Erster bei mir. Er beugte sich über mich, seine Lippen bewegten sich, er streckte die Hände aus, wusste aber anscheinend nicht, ob er mich stützen oder zu Boden drücken sollte, die Eisenstange war bei allem im Weg. Er fuchtelte hilflos herum und brach dann in Tränen aus. Ich spürte keine Schmerzen, nur einen großen Druck in meinem Kopf. Na, das war’s dann ja wohl, dachte ich. So etwas überlebt niemand. Inzwischen hatten sich auch der Vorarbeiter und die Kollegen um mich versammelt, und ich sah ihnen an, dass sie dasselbe dachten. Einige griffen sich unwillkürlich ans Auge oder an den Kopf und ihre Gesichter führten die Pantomime eines Schmerzes auf, von dem sie glaubten, dass ich ihn empfinden müsste.
    Es war ein ziemlicher Akt, mich in den Hubschrauber zu bugsieren. Der Rettungssanitäter – durch irgendeine Schlamperei war kein Arzt an Bord – lagerte meinen Kopf mitsamt der Eisenstange in einer Wolke von Kissen, Decken, zusammengeknüllten Jacken und aufgeblasenen Halsmanschetten. Er holte eine Narkosemaske.
    »Lass das«, sagte ich, und meine eigene Stimme kam wie aus weiter Ferne an mein Ohr und wurde immer noch von dem grellen Pfeifen überlagert, »wie es aussieht, werde ich sowieso gleich sterben, aber ich bin noch nie in einem Hubschrauber geflogen, und das willst du mir doch wohl nicht versauen?«
    »Keine Schmerzen?«, fragte der Sani. Er war weiß wie eine Wand.
    Ich schüttelte den Kopf, wobei das

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