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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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haben sich wieder entzündet, alles ist voller Eiter, und er hat große Schmerzen.«
    »Äh«, rief Großmutter, »Kimi, der alte Taugenichts! Wie lange ist das jetzt her? Vier Wochen? Und es hat wieder angefangen zu eitern? Das ist ein böses Zeichen. Ist er auch launisch und jähzornig? Brüllt er herum, oder hat er jemanden geschlagen?«
    »Na ja«, sagte ich, »so wie immer halt.«
    Großmutter begann, allerlei Tiegel und Fläschchen aus einem Regal zu nehmen und zu dem Kuchen und dem Wein in den Korb zu legen. Dabei brummte sie die ganze Zeit vor sich hin: »Weißdorn, falls überhaupt, hilft eigentlich nur noch Weißdorn … oder Vogelmiere, im Schatten getrocknet …«, legte Zweige dazu und kleine Beutel mit Kräutern, öffnete schließlich auch noch ihren Alibert und legte eine Handvoll Pillenröhrchen und zerknitterter Medikamentenpackungen in den Korb. Zuletzt schüttete sie einen Krug Wasser über das Feuer, trat mit den Stiefeln die Holzscheite auseinander und warf einen bedauernden Blick auf das angesetzte Gebräu in ihrem Kessel. »Ich komme mit. Wahrscheinlich kann ich ihm auch nicht mehr helfen, aber wir müssen wenigstens verhindern, dass er jemanden beißt.«
    Stepan
    Wie jedes Mal, wenn ich die alte Uchatka besuchte, staunte ich über die einträchtige Nachbarschaft, die ihre gutbürgerlichen Haushaltsgegenstände mit dem abergläubischen Schnickschnack in dieser Stube pflegten: Ein Korb mit Strickzeug stand mitten auf einem auf den Boden gemalten Pentagramm, auf dem Sims über dem Feuerplatz umrahmten mehrere Tierschädel den Glassturz einer Kaminuhr, und an der Wäscheleine unter der rauchgeschwärzten Decke trockneten Blutwürste und rosa Wollschlüpfer friedlich neben aufgefädelten Krötenmumien, Rabenflügeln und Sträußen von giftigem Fingerhut. Und natürlich fehlte auch nicht der meterlange Zopf aneinandergeflochtener Knoblauchknollen. Die alte Uchatka trug ein schwarzes Kleid, dessen dreckverkrusteter Saum über den Boden schleifte, ein braun kariertes Schultertuch und eine schwarze Haube, deren Rüschen ihr Gesicht umrahmten – ein Gesicht wie aus zerknülltem Packpapier. Die ganze Zeit hackte sie auf Rotkäppchen herum, und Rotkäppchen saß auf der äußersten Kante eines Stuhls, umklammerte mit der linken Hand den Ellbogen ihres rechten Arms und starrte vor sich auf den Boden. Aber der blöde Wolfsköter war völlig hingerissen von der alten Hexe. Der kriegte sich überhaupt nicht mehr ein. Und jedes Mal, wenn die Alte wieder eine Gemeinheit vom Stapel ließ, schnappte das Biest nach Rotkäppchens Füßen.
    »Einen wie dich können wir gut brauchen«, sagte die alte Uchatka zu mir und drückte mir gleichzeitig einen Tiegel mit Heilsalbe in die Hand, »einen ohne Furcht und Auge.« Sie lachte meckernd. »Du kommst mit uns nach Vifor. Bist ja sowieso in die Elsie verliebt.«
    Rotkäppchens Gesicht nahm die Farbe ihrer Kappe an, aber ich nickte sofort und schickte meinen Eltern eine SMS, dass ich heute nicht nach Hause kommen würde. Besser hätte ich es ja gar nicht treffen können: Rotkäppchen würde die ganze Zeit über in meiner Nähe sein, ohne dass ich mich aufgedrängt hatte. Vermutlich würde ich sogar bei den Topolovs übernachten müssen.
    Es dämmerte bereits, als wir loszogen, und wir schritten so rasch wir konnten, um möglichst viel Strecke hinter uns zu bringen, bevor es völlig dunkel wurde. Die alte Uchatka war erstaunlich flink. Mit einer Laterne in den klauenartigen Fingern preschte sie voran. Rotkäppchen und ich mussten uns anstrengen, um mit ihr Schritt zu halten, allerdings trug ich auch den sperrigen Korb mit der Weinflasche, dem Kuchen und den ganzen Medizinfläschchen, der mir ständig gegen mein linkes Bein schlug. Der Wolfhund lief jetzt ohne Leine neben uns her, verschwand in den dunklen Schatten am Wegrand, raschelte und keuchte rechts und stieß dann völlig überraschend von der linken Seite wieder zu uns, um sich alle paar Minuten an die Seite von Rotkäppchens Großmutter zu drücken und seine Schnauze in ihre Hand zu schieben. Er war so rettungslos verliebt in das alte Weib, dass wir nicht befürchten mussten, er könne sich irgendwann selbstständig machen. Außerdem hatten wir entdeckt, dass sein Halsband mit Leuchtdioden bestückt war, die – je nach Einstellung – rot blinkten oder flackerten, wenn man auf einen Knopf drückte. Und als es Nacht wurde, sahen wir die roten Glühwürmchen im Sekundentakt zwischen den Bäumen aufleuchten und

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