Grrrimm (German Edition)
zurück.«
Die Dreckstöle zerrte kurz am Stoff eines Moonboots, dann kriegte sie sich wieder ein und trottete neben uns her, als wäre nichts gewesen.
»Wie groß du geworden bist«, sagte Rotkäppchen zu mir, »und was du für breite Schultern bekommen hast. Fast nicht wiederzuerkennen. Was hast du bloß für große Hände!«
Sie griff sich meine linke Hand und drehte sie prüfend hin und her.
»Ja«, sagte ich. »Und was habe ich bloß für schöne große Augen. Gib mir einen Kuss, und ich kaufe dir in Schiponek eine vernünftige Jeans.«
»Ich weiß nicht«, sagte Rotkäppchen, »du bist zwar unheimlich groß geworden, aber früher hast du auf mich erwachsener gewirkt.«
»Vergiss es«, sagte ich, »ich schenk dir die Jeans auch so.«
»Ich will überhaupt keine Jeans.«
»Dann gib mir so einen Kuss.«
»Bist du sicher, dass du von deinem Unfall nicht doch einen Schaden behalten hast?«, fragte Rotkäppchen, aber da waren wir auch schon bei der alten Uchatka angekommen, die mitten im Wald in einer windschiefen Bruchbude wohnte, die wie ein verdammtes Hexenhaus aussah.
Elsie
Meine Großmutter lebte mitten im Wald in einem schönen Holzhaus. Vor ein paar Jahren hatten hier noch vier andere Häuser gestanden, aber die waren nacheinander abgerissen worden. Nach dem Tod meiner Großmutter wird auch dieses Haus abgerissen werden. Aus Gründen der Renaturierung. Nach Ansicht der Naturschutzbehörde brauchen die Luchse, Wölfe, Kraniche, Salamander und Knoblauchkröten alles, was es hier an Wald und Wiesen gibt, für sich allein. Für alte Hexen ist da kein Platz mehr.
Wir klopften an die Tür und traten in den einzigen Raum. Meine Großmutter rührte gerade in einem schwarzen Kessel, der über dem offenen Feuer hing und in dem es mächtig blubberte. Als sie aufsah, waren ihre Brillengläser vom Dampf beschlagen.
»Petronella – dass du dich auch einmal sehen lässt! Ach, wie schön! Und wie gut dir die Kappe steht! Wen hast du denn mitgebracht? Ist es Jaromir?«
»Ich bin’s – Elsie«, sagte ich. »Und bei mir ist Stepan aus Schiponek. Du kennst ihn doch. Darf ich den Hund mit reinbringen?«
»Ach, du bist es«, sagte Großmutter und wandte sich enttäuscht wieder ihrer Suppe zu. »Wenn du Petronella nicht das Käppchen abgeschwatzt hättest, das ich extra für sie gehäkelt habe, würde ich euch auch nicht so oft verwechseln.«
»Grrrimm«, machte Rocky und schnappte schon wieder nach meinen Füßen. Ich ließ vor Schreck die Leine los.
»Ein Hundchen? Ist da etwa ein Hundchen?«, fragte Großmutter.
Rocky senkte den Kopf bis auf den Boden und kroch schweifwedelnd auf sie zu. Großmutter streckte ihm die Hände entgegen.
»Vorsicht«, sagte Stepan, »das ist ein hinterhältiges Vieh. Dem kann man nicht trauen.«
Aber Rocky wand sich bereits sabbernd vor Großmutters Füßen.
»Ah, ah, was für ein Hundchen, was für ein Hundchen«, schmeichelte sie, und Rocky schmiegte jaulend seinen Kopf in ihre Hände. Ich stellte den Korb mit dem Wein und dem Kuchen auf den Tisch.
»Willst du ihn haben? Ich habe ihn heute von einer Frau vom Tierschutzverein bekommen. Die suchen einen Platz für ihn.«
»Na, so geht das aber nicht«, sagte Großmutter. »Erst die Verantwortung für ein Tier übernehmen, und es dann bei nächster Gelegenheit wieder loswerden wollen. Ich muss mich sehr über dich wundern, Elsie. Was meinst du, was das mit einem Hund macht, wenn er von einer Hand in die nächste wandert. Und überhaupt: Wie soll denn eine alte Frau wie ich dem Tierchen genug Auslauf bieten?«
»Grrrimm«, grollte der Wolfhund in meine Richtung und schmiegte sich an Großmutters Rock.
»Wenn mich einer fragt, dann sollte Elsie die blöde Töle so schnell wie möglich zurückgeben«, sagte Stepan ohne herzusehen. Er stand vor Großmutters Bilderwand und betrachtete sie mit einer Hand am Kinn, als stände er in einem Museum. Dabei hingen dort bloß eine russische Ikone, ein billiger Landschaftsdruck mit der Kirche von Schiponek und ein ovaler Bilderrahmen mit einem Scherenschnitt von Großmutter in jüngeren Jahren, als ihre Nase noch deutlich weiter von ihrem Kinn entfernt war.
»Wer sich einen Hund anschafft, muss auch die Konsequenzen tragen«, sagte Großmutter. »Das hättest du dir alles vorher überlegen können.«
»Grrrimm«, machte der Wolfhund wieder in meine Richtung und sah dabei sehr zufrieden aus.
»Großmutter, wir brauchen deine Hilfe«, sagte ich. »Vater geht es nicht gut. Die Bisswunden
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