Grrrimm (German Edition)
sein.«
»Und was soll da geschrieben stehen? Der Name?«
»Schreib: Schneewittchen, eine Königstochter«, sagte ich. Und so wurde es dann auch gemacht.
Am späten Morgen polsterten wir unseren Wagen mit Stroh, packten den gläsernen Sarg darauf und fuhren wieder heim. Wir legten Schneewittchen hinein und trugen den Sarg auf einen kleinen Hügel. Einer nach dem anderen beugte sich über den Sarg, um Schneewittchen noch einmal ins Gesicht zu schauen, und dann knieten wir uns um sie herum und beteten. Grimbold, Helmerich, Hobo und der Venetianer weinten. Am Nachmittag saßen wir immer noch so da. Keiner von uns hatte den Vorschlag gemacht, sie zu begraben. Sie sah einfach so frisch und lebendig aus, dass wir uns gar nicht vorstellen konnten, sie in die kalte, dunkle Erde herunterzulassen. Aber natürlich war uns auch klar, dass wir nicht mehr allzu lange damit warten durften. Schließlich war Sommer.
Plötzlich näherten sich fünf Reiter, ein junger Adliger mit seinen Jägern. Sie lachten und schwatzten, als wäre hier nicht ganz eindeutig eine Trauergemeinde versammelt, und ihr Anführer, der einen feisten, aufgeputzten Schimmel ritt, rief herauf, ob es bei uns den gläsernen Sarg zu bewundern gäbe, von dessen Existenz er unten im Dorf gehört habe. Grimbold wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und zeigte auf Schneewittchen. Der junge Fant stieg am Fuße des Hügels ab und kletterte zu uns herauf – nicht ohne seinen Jägern vorher zuzugrinsen. Anderer Leute Unglück war ihm bloß Unterhaltung. Seine Jäger kicherten miteinander und flüsterten so laut, dass wir sie deutlich verstehen konnten: »Es sind alles Zwerge, sieben Stück, … habt ihr das bemerkt?«
»Schick ihn weg«, flüsterte ich Grimbold zu, aber Grimbold flüsterte zurück: »Es ist der Prinz, hast du das nicht gesehen? Wir können ihm gar nichts verbieten.«
Der Prinz ging auf den Sarg zu, beugte sich geziert vor und las die Inschrift.
»Oha«, sagte er und drehte sich zu seinem Gefolge um. »Hier steht, sie war eine Königstochter.«
Worauf sie allesamt lachten, die dummen Schweine. Dann schaute der Prinz durch das Glas auf Schneewittchen herunter, sah ihre große Schönheit und lachte nicht mehr. Er ließ sich – ganz große Geste – auf eines seiner Knie nieder und sagte zu Grimbold:
»Lasst mir den Sarg mit dem schönen Mädchen darin, ich will euch dafür geben, was ihr haben wollt. Nehmt meinen Schimmel, meinen pelzbesetzten Mantel und alles Gold, das ich bei mir trage, aber lasst mir das Schneewittchen.«
»Kommt ja überhaupt nicht in Frage«, rief ich, bevor Grimbold antworten konnte, und auch Bertil erwiderte missmutig:
»Wir brauchen kein Gold.«
Da sagte der Prinz: »So schenkt mir den Sarg, ihr guten Zwerge, denn ich kann nicht leben, ohne Schneewittchen zu sehen. Ich will es in Ehren halten wie mein Liebstes.«
Also unverschämter ging es ja wohl nicht.
»Nein, auf gar keinen Fall«, sagte Bertil, und ich stimmte ihm zu. Aber der Prinz hörte nicht auf zu betteln und zu flehen. Er vergoss sogar Tränen. Von einer stillen Trauerfeier konnte nicht mehr die Rede sein. Alles drehte sich plötzlich nur noch um den Prinzen. Ich hätte ihm am liebsten vor die Füße gespien. Schließlich sagte Grimbold, dass wir uns zur Beratung ins Haus zurückziehen würden.
»Wir müssen ihm den Sarg geben«, meinte er dort, »er könnte es uns jederzeit befehlen, und wir dürften uns nicht widersetzen. Lasst ihn Schneewittchen mitnehmen, solange er uns noch darum bittet. Wenn er uns erst zwingt, wird es noch schwerer zu ertragen sein.«
»Das könnt ihr nicht machen«, rief ich. »Der Kerl ist krank. Er will uns eine Leiche abkaufen. Ich möchte mir überhaupt nicht vorstellen, was er mit ihr vorhat.«
»Er will sie nur ansehen«, sagte Grimbold gutgläubig. »Außerdem wird sie morgen schon anfangen zu riechen, und dann wird auch er sie begraben wollen. Wahrscheinlich kann er ihr ein viel schöneres Grab schaffen, als wir das je könnten. Am Königshof gibt es doch Steinmetze und solche Leute.«
»Aber er kennt sie überhaupt nicht«, schrie ich. »Schneewittchen hat mit uns zusammengelebt. Sie gehört zu uns und soll bei uns begraben sein. Er ist hier doch bloß heraufgeritten, um sich einen Glassarg anzuschauen.«
»Wer ist dafür, dass der Prinz Schneewittchen mitnehmen darf«, fragte Grimbold, und alle außer mir und Bertil hoben die Hand.
»Gut«, sagte ich, »tut, was ihr nicht lassen könnt. Aber wenn ihr ihm
Weitere Kostenlose Bücher