Grrrimm (German Edition)
uns wieder den Haushalt führen, für uns kochen und waschen will, dann kann sie jederzeit zu uns zurückkommen, und es soll ihr an nichts fehlen. Nur, dass ich jetzt hier der Anführer bin und von Anfang an klarstellen werde, was wir erwarten.
Die Froschbraut
ovember ist schon fast vorbei. Draußen vor dem Fenster stöbert der Wind in nassem Laub und zerrt an den Zweigen der alten, kahlen Parkbäume. Im grünen Zimmer aber knackt und zischt ein Kaminfeuer. Mein Vater, der Verbrecher, winkt mich zu sich heran, und ich trete an den wuchtigen Schreibtisch mit den Löwentatzen.
»Gib mir den Ball.«
Ich reiche ihm meine goldene Kugel. So ist mein Vater. Die goldene Kugel nennt er einen Ball, meint er mein Springpferd, einen gewaltigen Schimmel, sagt er: das Pony, und als er mir meinen ersten Zobelmantel kaufte, sagte er: Du brauchst eine neue Jacke.
Er fasst die goldene Kugel mit beiden Händen, drückt und dreht, und zu meiner nicht geringen Verblüffung öffnet sie sich und fällt in zwei Hälften. Mein Vater, der Verbrecher, nimmt ein aufgerolltes Papier aus einer Schublade. Er knickt die Rolle, die von einer roten Schnur zusammengehalten wird, und stopft sie in die leichte Höhlung der einen Kugelhälfte. Dann schraubt er die zweite Hälfte darauf und gibt mir die Kugel zurück. Nicht einmal jetzt, da ich doch weiß, dass es eine Nahtstelle geben muss, kann ich sie entdecken. Mein Vater küsst mich auf den Mund.
»Geh in den Garten, jetzt gleich. Und nimm den Ball mit«, sagt mein Vater. Der Wind hat schwarznasses Ahornlaub gegen das Fenster geklatscht. Jeden Moment kann es zu regnen beginnen, aber ich widersetze mich nicht. Niemand wagt es, sich meinem Vater zu widersetzen.
Ein Rabe schreitet durchs Gras und dreht die Blätter um, als wären es Patiencekarten. Ich habe mich in den vorderen Teil des Parks gestellt, dorthin, wo mein Vater mich vom Fenster aus sehen kann. Fröstelnd ziehe ich die Schultern hoch. Das Kleid flattert um meine Beine. Ich lehne mich mit dem Rücken gegen den Wind und beobachte die Allee, die zu unserer Villa führt. Schon funkeln die erwarteten blauen Lichter zwischen den Bäumen. Eine schwarze Limousine und drei Polizeiautos bremsen knirschend im Kies. Männer in Lederjacken springen heraus, laufen zur Haustür, kauern sich mit gezogenen Pistolen unter die Fenster, rennen geduckt zur Rückseite der Villa. Einer läuft auch auf mich zu. Schreiend fliegt der Rabe auf.
»Darf ich einmal sehen?«
Er ist sehr jung, kaum älter als ich. Ich wusste gar nicht, dass es so junge Polizisten gibt. Groß und rothaarig und seine weiße Haut leuchtet vor lauter Rechtschaffenheit. Ich habe noch nie einen so schönen Jungen gesehen. Zögernd überlasse ich ihm die goldene Kugel. Er besieht sie genau, hält sie an sein Ohr, schüttelt sie und gibt sie mir dann zurück.
»Hübsch.«
Der Wind fällt über uns her. Ich muss mir mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht halten. Das hohe Bambusgras am Wegrand neigt sich, versucht, sich wieder aufzurichten, aber die nächste Böe drückt es noch tiefer, und da nickt es gleich viermal: ja, ja, ja, ja.
In der Villa brennen nun sämtliche Lichter. Hinter jedem Fenster bewegen sich Polizisten. Im grünen Zimmer ziehen sie alle Schubladen auf, öffnen die Schränke und wühlen in Papieren. Mein Vater, der Verbrecher, sitzt lässig auf dem Schreibtisch, sieht ihnen zu und raucht eine Zigarette. Ich wende mich ab und gehe ein paar Schritte. Der Rothaarige bleibt an meiner Seite.
»Gibt es vielleicht etwas, das Sie mir erzählen möchten? Etwas, das ich wissen sollte?«
Ich werfe die goldene Kugel hoch und fange sie wieder auf.
»Etwas, das Sie wissen sollten?«, frage ich zurück und sehe ihn an, bis er die Augen senkt und errötet. Trotzdem geht er mir weiter nach.
Wo der Park endet, beginnt der Wald. Dorthin kann mir der hübsche Polizist nicht folgen, denn es ist ein verzauberter Wald. Dinge, die sonst ohne Leben sind, können hier reden oder gefährlich werden, und wer so leichtfertig ist, hineinzugeraten, der findet nicht wieder heraus; und wenn er doch wieder hinausfindet, so ist er nicht mehr der, der er einmal gewesen ist. Mir aber kann nichts passieren. Ich bin die Tochter meines Vaters, und mein Vater ist ein so großer Verbrecher, dass er selbst hier gefürchtet wird.
»Bitte, gehen Sie jetzt nicht weg«, sagt der junge Polizist. »Wenn Sie nur wollen, werde ich Ihnen helfen.«
Schon bin ich zwischen den Tannen. Kleine Gestalten
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