Gruber Geht
Naschmarkt Gemüse kaufen und was man halt so in eine Suppe tut, es würde ihm gut tun, diese Suppe zu kochen. Dann verwirft er den Gedanken sofort wieder. Erstens geht er morgen mit Carmen mittagessen, muss danach zur Untersuchung samt Blutabnahme und Ultraschall, und geht dann ins Fitnessstudio, womit der Tag praktisch dicht ist. Zweitens mag er gar keine Suppe, und drittens würde es dann in der Küche nach Essen riechen, ja womöglich in der ganzen Wohnung, das möchte Gruber nach Möglichkeit vermeiden. Er hat selbstverständlich einen High-Tech-Dunstabzug mit einer Million Watt, aber es ist ja nicht garantiert, dass so ein Dunstabzug auch tatsächlich hundertprozentig funktioniert, ob da wirklich alle Dämpfe ratzfatz durch das Abzugsrohr abziehen. Gruber hat die Abzugshaube bisher nicht ausprobiert, glaubt aber tendenziell nicht an ihre vollumfängliche Wirksamkeit. Da entweicht doch garantiert zur Seite was, Dämpfe dampfen ja nicht nur schnurgerade nach oben, sondern in alle Richtungen. Und Essensgeruch, der über seiner Designerlandschaft schwebt, bitte nicht. Das setzt sich doch ab. Das hängt dann im Flokati und zwischen den Sofaritzen, wo er es dann vielleicht plötzlich riecht, wenn er nächstes Mal dort einer Frau den Slip vom Arsch zieht, das verdirbt einem doch alles, wenn es dann plötzlich nach Suppe riecht. Gruber jedenfalls kann sich nicht vorstellen, dass er einen hochkriegt, wenn ihm mit einem Mal Suppengeruch in die Nase steigt, während er gerade die Schamhaarfrisur von wem auch immer erkundet. Wenn es bei Kathi nach Essen riecht, gut und schön, mit Kindern ist das wohl unvermeidlich, Kinder haben ja immer Hunger und müssen ununterbrochen gefüttert und verpflegt werden, mit etwas Warmem nach Möglichkeit, da ist dauerndes Gekoche und Gebacke nun mal an der Tagesordnung und Mutterpflicht. Bei Kathi ist das okay, vor allem wenn es, was manchmal der Fall ist, wenn Gruber dort auftaucht, nach frisch gebackenem Brot riecht, wofür Gruber Kathi selbstverständlich stets auf der Stelle gnadenlos die Spießerkeule um die Ohren schlägt: Brot selber backen, wie biederbobo ist das denn bitte, wie tief kann man noch sinken, wie sehr kann sich eine Frau erniedrigen und so. Aber in Wirklichkeit gefällt es ihm. Kathi weiß das und hätte vor allem zum Thema Frauenerniedrigung durchaus dies und jenes zu erwidern, und deswegen holt er meistens sicherheitshalber gleich noch einmal aus. Irgendwas in Kathis Wohnung oder in Kathis Wochenendhaus findet sich schließlich immer, das man mit ihrer Punk-Vergangenheit in Relation setzen kann, ein altes, gesticktes Tischtuch, ein Sofakissen mit Prilblumen-Bezug, eine rot getupfte Tasse, eine gehäkelte Decke aus den siebziger Jahren, Dinge, die Gruber nicht einmal in die Nähe seiner Wohnung lassen würde, und, wenn er es verhindern könnte, nicht einmal in seinen Bezirk.
In seiner Wohnung hat Sterilität zu herrschen, die Dinge müssen rein, unbenutzt und frei von Vergangenheit sein, ein Grund, warum das Minotti-Sofa schon längst ein stichelnder Störfaktor in der sonst tadellosen Perfektion seiner Einrichtung ist. Da pickt zu viel Lydia dran. Viel zu viel Lydia, es hat quasi eine Lydia-Patina. Also Vergangenheit, und noch dazu eine, die er bei Gott nicht ununterbrochen präsent haben will. Das Sofa muss, das wird immer offenkundiger, weg. Er könnte, genau, er wird Kathi das Minotti-Sofa schenken. Kathi soll es haben, es soll fortan bei Kathi wohnen, und Kathi wird sofort ein paar Blümchen- und Stickkissen und eine Oma-Häkeldecke in Seventies-Farben darauflegen, damit es bloß nicht mehr wie ein teueres Designersofa aussieht, sondern wie vom Ikea-Schlussverkauf. Oder wie aus dem Caritas-Möbellager, was, sobald sich die Kinder drei Tage lang darum gekümmert hätten, sowieso der Fall sein würde. Genau, sollen doch Kathis Kinder das Minotti-Sofa endgültig von seiner Lydiaeskheit befreien und vom letzten Restchen Gruberscher Makellosigkeit. So gesehen könnte er freilich ruhig diese Suppe kochen und sie dann auf dem Sofa essen, diese Suppe, diese von ihm selbstgemachte Suppe. Sie wird ihm ja vielleicht sogar schmecken, anders als Suppe an sich, und er wird bei ihrer Verspeisung mit purer Absicht ein wenig kleckern, während er in einer seiner Interieur-Zeitschriften nach dem idealen neuen Sofa fahndet, etwas Italienisches, unbedingt von brasilianischen Designern entworfen, Preis auf Anfrage. Gut, Gruber findet das gut: Eine richtige, fällige Entscheidung
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