Gruber Geht
luftlosen Kellern mit hochgiftigen Chemikalien und scharfen Werkzeugen sorgfältig ruiniert und zu diesem Tischwrack zusammengezimmert worden. Das die Herzog schließlich um proximativ vier- oder fünftausend Euro aus irgendeinem geil-Design-Versandhaus für Millionäre bestellt hatte. Vermutete jedenfalls Gruber. Gruber war sich bis heute nicht sicher, ob er den Tisch hasste oder nicht. Einerseits war der Tisch ein Witz, andererseits kontrastierte er den cleanen, glänzenden, scharfkantigen Schick von Grubers restlicher Einrichtung höchst reizvoll, drittens sah man ihm an, dass er scheißteuer gewesen sein musste, was Gruber gern hatte, viertens war er leider nicht geeignet, um darauf irgendwelche Gläser und Flaschen abzustellen, und fünftens war sich Gruber immer noch nicht sicher, ob der Tisch nicht ein nervenzersetzender Fremdkörper in der sonst makellosen Gruberschen Perfektion war. Er war seit nunmehr vier Jahren zu keinem Urteil gekommen, hatte aber immer wieder einmal daran gedacht, den Tisch seiner augenscheinlichen Bestimmung zuzuführen und in seinem offenen Hightech-Kamin zu Feuer zu machen. Gruber weiß selbst nicht, warum er das nicht längst getan hat. Vielleicht, weil er farblich ganz okay mit dem Sofa und dem Flokati harmonierte. Vielleicht, weil er die genau ideale Höhe für Grubers Füße hatte, allerdings hatte sich Gruber an seinen ungehobelten Kanten schon mehr als ein Paar seidener Socken zerrissen und sich mindestens zwei Mal einen Schiefer eingezogen. Könnte aber auch sein, dass er sich vor der Herzog fürchtete. Das würde er nicht und vor niemandem zugeben, könnte aber sein, denn eigentlich ist es ein Scheißtisch, der totale Scheißtisch im Prinzip, und wenn man nicht ganz genau aufpasst, wo man seine Bierflasche hinstellt, kippt sie in eine Kerbe und fällt um. Ein Misttisch, der überhaupt nicht zu ihm, Gruber, und seiner Lebensweise und seiner Weltanschauung passte und eigentlich auch nicht zu dem Sofa, jetzt abgesehen von der Farbe, aber immerhin; wegen dem Sofa ist es jetzt ja eh wurscht. Das Sofa kommt ohnedies weg. Das Sofa, und das verheißt auch dem Tisch nichts Gutes, ist ja schon Geschichte. Dein Sofa, Kathi, deins.
Gruber pflückt die Bierflasche vom Tisch und nimmt noch einen langen Schluck, dann schaut er den Tisch an, schaut das Sofa an, schaut die Bierflasche an, schaut das Sofa an, hält die Bierflasche am ausgestreckten Arm neben sich, über dem Sofa, betrachtet die Bierflasche, betrachtet seine Hand mit der Bierflasche, sieht der Hand zu, wie sie sich praktisch von selbst kurz dreht und betrachtet interessiert, wie der kleine Schwall Bier auf dem Sofa auftrifft. Plp. Kleine Spritzer prallen vom Bezug ab, verteilen sich um die Biereintrittsstelle, verlaufen ineinander und färben den Lehm zu Schlamm. Da schau her. Dass er das konnte. Eine Initiation sozusagen. Ein Anfang, definitiv ein Anfang von etwas Neuem. Da schau, Kathi, hab ich für dich getan, denkt Gruber, kippt sich zufrieden den Rest des Biers in den Hals, lehnt sich in seinem befleckten, seinem zerstörten Sofa zurück, betrachtet dann die Stelle, die sich noch ein wenig vergrößert und dann nicht mehr: Da schau, ich kann das, Kathi. Das hättest du nicht gedacht, dass ich das kann. Aber ich kann das. Und siehst du, wie ich hier ganz ruhig sitzen bleibe, ich muss gar nicht aufspringen und den Fleck herausputzen, ich kann einfach sitzen bleiben. Ich bin gar nicht so ein Klemmer, wie du immer sagst, Kathi, und morgen mach ich das mit Rotwein, wirst schon sehen, mit Bordeaux, mit dem 89 er Château Talbot aus der Kiste von meinem fünfunddreißigsten Geburtstag. Gruber trinkt sein Bier und starrt auf den Fleck, er verändert sich nicht mehr, er wird nicht mehr größer, er wird auch nicht heller, nichts. Sarah wäre auch stolz auf mich, denkt Gruber, weiß aber nicht, wieso. Egal. Er steht auf und stöpselt den Laptop vom Ladekabel ab. Ins Bett. Ins Bett jetzt. Kurz vor dem Schlafzimmer dreht sich Gruber noch mal nach dem Fleck um, nach seinem Fleck. Wie leicht das eben war. Das war ganz leicht. Interessant. So kann man also auch leben. Interessant.
Auf Facebook vermeldet Philipp detailliert, was er im Grapello alles gegessen und getrunken, aber nicht wer es bezahlt hat, Gruber liegt im Bett, den Laptop auf dem Bauch, und schreibt einen sarkastischen kleinen Kommentar dazu. Nicht ohne zu erwähnen, dass Philipp, wenn er nur das isst, was er auch selber bezahlt, sich die geplante Metabolic-Balance-Diät
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