Gruber Geht
detailliert berichtete, wie viel Eisen er in der Muckibude wieder gepumpt hatte, und wie der Arzt das mit angemessenem Respekt kommentierte, weil Gruber das brauchte, um sich auch weiterhin wie Gruber zu fühlen, wie ein vollständiger, makelloser Gruber, und weil der Arzt das wusste. Aber das war eben eine Sache zwischen einem Arzt und seinem Patienten, das war außerhalb des Ordinationsraumes sozusagen nicht satisfaktionsfähig. Aber er erzählte ihr von den lebenden Toten in den Wartebereichen der onkologischen Abteilungen, aller onkologischen Abteilungen, aber speziell in dem Gang, der zu den Bestrahlungsräumen führte. Und sogar von den Nächten, in denen er wach lag und an die Metastasen dachte, die vielleicht an seinen Knochen und Organen nagten, und ans Sterben, und was danach kommt, und ob er einfach nur tot sein werde, ein kleines schwarzes Loch im Nichts.
«Gruuuuuber!», sagt Philipp, nein, er sagt es nicht, er brüllt es quer über den Tisch. Rundherum drehen sich die Verschnittenen zu ihnen um und schauen so pikiert, wie es das Botox gerade noch zulässt. «Bist du noch da, Gruber? Bist du betrunken, Gruber, oder spontan gehörlos geworden oder deppert oder was?»
«Halt die Klappe», sagt Gruber matt.
«Ja, und du werde wieder lebendig, wenn in dieser Hinsicht noch irgendeine Chance besteht», sagt Philipp, und dann bezahlen sie, also, Gruber bezahlt, und sie gehen in die Loos, lehnen an der Bar, trinken Wodka-Tonics und taxieren die Weiber, und es ist keine dabei, die sich auch nur ein Milligramm lohnen würde.
Die Wohnung sieht so aus, wie Gruber es gern hat. Leer. Weitgehend anorganisch. Museal fast, alles an dem dafür vorgesehenen Platz. Die Putzfrau war da und hat, wie Gruber es ihr über die Jahre mithilfe penibler To-do-Listen im Verbund mit zwei Stundenlohnerhöhungen beigebracht hat, alle Beweise dafür verschwinden lassen, dass in dieser Wohnung gelebt wird. Gruber hat die Wohnung vor vier Jahren, nachdem es mit Lydia aus war, gekauft und bezogen. Ein luftiges, frisch und etwas brutal auf einen Altbau gesetztes Penthouse direkt am Naschmarkt, mit luxuriösem Nussholzboden, einer Küche aus Marmor, Edelstahl und High-Tech-Geräten, die Gruber mit Ausnahme der 2000 -Euro-Espresso-Maschine noch nie benutzt hat. Nein, stimmt nicht, einmal, kurz nach seinem Einzug, hat er für ein paar Freunde gekocht, und das Experiment brüllte nicht nach Wiederholung. Er ist doch mehr der Restaurant-Typ, ein Gast aus Leidenschaft praktisch. Wichtig ist, so Gruber, dass er könnte. Dass die Chance da ist, die Möglichkeit, all diese Geräte jederzeit zu benutzen, ihrer Bestimmung zuzuführen und irgendwann, das weiß Gruber, wird das auch geschehen. Garantiert. Vielleicht morgen schon, wer weiß. Oder nächste Woche; im Moment scheint alles möglich. Eigentlich keine schlechte Idee, morgen. Er könnte vielleicht, sinniert Gruber, morgen zur Herstellung einer Suppe schreiten. Eine Suppe wäre ein guter Anfang, eine Suppe kann ja nicht so schwer sein, was kommt in eine Suppe rein? Irgendwelches Wurzelzeug und Fleisch und Wasser und Suppenwürfel, er wird Kathi anrufen und sie um genaue Dosierungsangaben bitten. Oder in eins der Kochbücher schauen, die dekorativ auf einer sandgestrahlten Edelstahlablage über dem fünfflammigen Gasherd platziert sind, wobei Gruber ahnt, dass vermutlich keins davon das Grundrezept für Suppe enthält: genau sagen kann er es nicht, weil er noch nie in eins hineingesehen hat. Er hat sie nach der Farbe ihrer Einbände ausgewählt, rot, gelb und orange, um ein wenig Kontrast, ein wenig Leben in die Edelstahlmenagerie seiner Küche zu bringen, welche Gruber, er gibt es gerne, ja mit einem gewissen Stolz zu, ein klein wenig an eine Pathologie erinnert. An eine blitzsaubere Pathologie. Auch deswegen steht stets ein großer Stahldrahtkorb mit leuchtenden Orangen und Zitronen im zweiten Quadranten der Kücheninsel, das kontrastiert die Atmosphäre schön, lockert sie auf, ohne ihr zu viel von ihrem cleanen Charme zu nehmen, zugleich bildet der Korb eine harmonische Achse zu den Kochbüchern. Die Zitrusfrüchte werden jede Woche von der Putzfrau ersetzt, sie bringt frische mit und schmeißt die alten weg oder nimmt sie mit nach Hause oder was auch immer, Gruber ist das wurscht, Hauptsache seine Orangen und Zitronen sind makellos und leuchtend orange und gelb. Eine Suppe, ja, eine Suppe, denkt Gruber, es wäre gut, hier einmal eine Suppe zu kochen, er könnte hinuntergehen, am
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