Gruber Geht
wurde getroffen, ein ästhetisch-dynamischer Fortschritt wurde gemacht, die Zukunft sieht wieder ein wenig heller aus. So er denn eine hat. Aber sind es nicht die Zukunftsentscheidungen, die eine Zukunft erst möglich machen, ja anlocken? Wie soll sich die Zukunft für einen interessieren, wenn man ihr keine Aussichten bietet, keine Perspektiven, nur ein fleckiges, nach Suppe riechendes Sofa, hier, bitte, nehmen Sie doch Platz? Eben. Gruber ist Fatalist, soeben geworden. Oder vielleicht ist er es auch schon seit diesem Tag in Zürich, als Sarah ihm den Brief vorgelesen hat. Denn dass es, Gruber hat ein paar Mal darüber nachgedacht, dass es gerade Sarah war, die den Brief aufgemacht hat, dass der Brief, den er so lange mit sich herumtrug, gerade in Sarahs Hände fiel und von ihr vorgelesen wurde, das war schon ein bisschen komisch. Also, wenn er ein Mädchen wäre, wenn er Kathi wäre oder Carmen oder die Herzog, würde er sagen, das war kein Zufall, Mädchen glauben ja immer an solche Dinge wie Bestimmung und Schicksal und derlei Pipapo. Er, Gruber, ist aber kein Mädchen. Es war also ein Zufall. Es hätte irgendwer sein können, ir-gend-ei-ne hätte ihm diesen Brief vorlesen und ihn aus seiner Apathie reißen und ihn dazu bringen können, endlich etwas zu unternehmen. Ja, doch. Aber natürlich wäre es auch möglich, dass Sarah nur deshalb diese Rolle in seinem Leben spielt, sich wichtig und immer wichtiger anfühlt, weil sie eben zufällig da war an diesem Nachmittag, zu dieser Stunde und sich in dieser Sekunde den Brief gegriffen hat. Wenn er an diesem Nachmittag Denise gevögelt hätte, wenn er Denise nicht wie nach dem Stalking-für-Anfänger-Handbuch vierzig Mal angerufen und beschimpft hätte, vielleicht wäre dann Denise dort in diesem Bett im Greulich gelegen und vielleicht hätte dann Denise ... Und vielleicht wäre es dann nicht Sarah, sondern Denise, die ihm jetzt praktisch jedes Mal erscheint, wenn er leichtfertige Mädchen in schwindligen Bars betrunken macht und auf die Matratze quatscht und ihnen ihre Höschen herunterreißt und, so sie welche haben, in den Schamhaaren wühlt. Vielleicht wäre es Denise, deren Bild sich dann plötzlich vor ihm aufpixelt, die leicht doof wirkende Denise, nicht Sarah mit strengem, schnell beleidigtem Blick, mit diesem Ich-und-die?-Meinst-du-das-wirklich-ernst?-Blick, den Gruber an der realen Sarah noch nie gesehen hat, den die wirkliche Sarah vermutlich gar nicht draufhat, nur die Sarah-Vision, diese merkwürdige, wiederkehrende, diese irgendwie spooky Sarah-Erscheinung. Oder er hätte die blonde Kuh im Mascotte doch von ihrem Quasi-Zuhälter losverhandeln können und sie wäre dann im Greulich neben ihm gelegen und hätte den Brief ... Grundgütiger, nein. Nein, unmöglich. Absolut undenkbar. Die Tussi konnte sehr wahrscheinlich gar nicht lesen. Es war nun eben Sarah gewesen, ziemlich zufällig vermutlich, oder eben relativ oder völlig unzufällig, es hatte nun halt Sarah sein müssen, der Zufall, der zufällige Unzufall wollte das. Und deshalb, Schicksal, ist Gruber nun eben Fatalist. Ich bin jetzt eben Fatalist, denkt sich Gruber, und das neue Ich-koste-so-viel-wie-ein- 5000 -Quadratmeter-Grundstück-in-der-niederösterreichischen-Pampa-Sofa winkt meiner Zukunft einladend entgegen. Komm Zukunft, komm ruhig! Und auf so ein Sofa, es wird vermutlich weiß, unschuldig weiß mit allerhöchstens einem Hauch von creme sein, auf so ein unschuldiges und doch elegantes italienisch-brasilianisches Designer-Sofa setzt sich eine Zukunft doch gern, also meine Zukunft jedenfalls gewiss, denkt sich Gruber. Und dann, dass einer, der sich so einen Blödsinn zusammendenkt, wohl ziemlich angeflaschelt sein muss. Ja, stimmt, ich bin ziemlich betrunken, scheißegal. Er wird ein neues Sofa kaufen, weiß, mittelcreme oder gebrochen Eierschale, und davor wird er das alte, lehmfarbene Minotti-Sofa mit seiner ersten selbstgemachten Suppe ein wenig einsauen. Ein paar Flecken und bisschen Suppengeruch machen das teure Sofa für Kathi vermutlich überhaupt erst akzeptabel, die nimmt das Sofa fleckenlos vermutlich gar nicht, die nimmt es nur befleckt, weil sie Gruber kennt und weiß, dass ihr perfektionistischer kleiner Bruder mit einem befleckten Sofa einfach nicht zusammenleben kann, sie nimmt es quasi aus Schwesternsolidarität und Mitleid. Den Flokati kann er ja, während er sich das Sofa mit der Suppe entfremdet, ein- und wegrollen.
Gruber ist jetzt entschlossen, schon in Bälde zur
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