Gruber Geht
Nudelsuppe hatte auf dem Herd gestanden, und Gruber erinnert sich, dass er die Suppe erst weggeschüttet hatte, als sich schon Schaum und Schimmel an ihrer Oberfläche bildete und saurer Gestank. Deswegen mag Gruber keine Suppe, jetzt erinnert er sich wieder, wegen dieser gärenden, schäumenden, stinkenden Suppe mit der Schimmelschicht, die er am Tag nach Max’ Begräbnis endlich ins Klo schüttete. Den Topf hatte Gruber weggeschmissen, er hatte ihn gar nicht erst ausgewaschen, er hatte den Deckel wieder draufgelegt, war mit ihm zur Wohnungstür hinaus, war mit dem Lift hinuntergefahren, in den Lichthof marschiert und hatte den Topf in den Müllcontainer geschmissen, Deckel hoch, Topf rein, Deckel zu. Zu Max’ Begräbnis waren unerwartet viele Leute gekommen.
Genau daran hat Gruber in den letzten Tagen denken müssen, sehr oft denken müssen, an ein Begräbnis. Zwei Tage lang hatte er in Kathis Hängematte gelegen und geraucht und in die Bäume geschaut und geraucht und John Grant gehört und eigentlich nichts weiter getan, als in regelmäßigen, relativ kurzen Abständen auf Kathis Handy seine Mailbox abzurufen, zu hören, wer ihn versucht hatte zu erreichen (Philipp, Philipp, Mutter, Philipp, das Krankenhaus mit einer Terminbestätigung, Philipp, sein Bankberater, Lisa vom Büro, Philipp, Lisa vom Büro). Grubers Netzanbieter fand es ja nicht notwendig, in dieser Einöde einen Empfang bereitzustellen. Nur hinter dem Haus, ganz am westlichen Ende des Grundstücks gab es ein winziges Fleckerl, in dem Grubers iPhone ein dünner Empfang gelang, und Gruber lief in ebenfalls regelmäßigen Abständen in diese Ecke und versuchte, auf dem Sendeweg zu ihm steckengebliebene SM S e in sein iPone zu schieben, zu zwingen, indem er sich selbst SM S e schickte, die die steckengebliebenen sozusagen durch den Kanal in Grubers Handy pressen sollte, was aber zu Grubers wachsendem Unglück nicht ein einziges Mal funktionierte. Die einzigen Nachrichten, die Gruber auf diese Weise erhielt, waren Nachrichten von John Gruber mit Inhalten wie Oasch, geh, heast! oder Oida. Hin und wieder ging er auch an das Empfangsfleckerl, um eine SM S zu schicken, an Philipp und an Sarah, aber an Sarah nur einmal, weil er Angst hatte, ihre Antwort könnte verloren gehen. Eigentlich war er bereits überzeugt, dass ihre erste Antwort von dem Funkloch verschluckt worden war, denn er hatte keine erhalten, und dass sie nicht geantwortet hatte, hielt Gruber für total unwahrscheinlich, ja unmöglich. Es war eine für Grubers Verhältnisse sehr emotionale, herzliche SM S gewesen, eine absolut unwiderstehliche, keine Frau auf dem Planeten hätte es geschafft, darauf nicht zu antworten. Auch Sarah nicht, nicht einmal Sarah, Gruber war sich ziemlich sicher. Doch, war er sich, Sarah hatte bestimmt, hatte hundertprozentig geantwortet, und ganz gewiss steckte ihre Antwort irgendwo in dem Sendetunnel fest, der in diesem Funkloch endete. Gruber hatte im Laufe von vier Stunden, nachdem er Sarah diese Nachricht geschickt hatte, vier Nachrichten an sich selber geschickt und daraufhin vier Nachrichten von sich selber erhalten. Dabei hatte er sicherheitshalber in seinem Status auf Facebook schon am ersten Tag, als ihm diese beängstigende Weltabgeschnittenheit bewusst geworden war, seine völlige Empfangslosigkeit vermeldet, hatte am zweiten Tag Grüße aus Funkloch gesandt und war am dritten unmittelbar nach dem Aufstehen, noch im Pyjama, durchs feuchte Gras in das Empfangsquadrat gestiefelt, um via iPhone in seinem Status allen seinen Freunden und auch Sarah zur Kenntnis zu bringen, dass er diesen Status aus einer winzigen, ländlichen Empfangsoase innerhalb einer riesigen Empfangswüste sende, die ihn von jeglichen SM S -Nachrichten abschneide, es dringe praktisch ausschließlich das Muhen der Kühe vom Nachbargrundstück zu ihm durch. Nur für den Fall, dass es noch nicht alle gelesen und kapiert hatten, dass er sich tief in der empfangsunbereiten Provinz befand, gänzlich ohne Netz. Nun sollte es eigentlich jedem, auch Sarah, klar sein, dass es besser war, ihm keine SM S e zu schicken.
Sondern lieber Mails. Ungefähr alle drei Stunden rief er seine Mailbox ab, besser gesagt, seinen Spam, denn sonst war nicht viel drin. Nichtsdestoweniger fühlte sich Gruber durch das Abrufen, durch den Dong, den es machte, wenn E-Mails ankamen, ein bisschen weniger wie auf einem anderen Planeten. Aber noch immer sehr vergessen von der Welt. Von Sarah kam nichts. Kathi war
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