Gruber Geht
Büchern, T-Shirts, Jeans. Nur Max hatte sich ausgekannt in diesen Stapeln, wie ja alle Chaotiker sich in ihrem Chaos zurechtfinden und nur (die Sonne brennt Gruber ins Gesicht, nicht gut, gar nicht gut, er sollte Kathi um etwas Sonnencreme bitten, aber die hat sicher wieder nur so billiges Zeug, von dem er Pickel kriegt) in ihrem Chaos. Max’ Chaos hatte in sich Ordnung gehabt, eine Ordnung, die selbst ein Pedant wie Gruber erahnen konnte. Wenn Max gesehen hätte, wie sein Bruder ein paar Wochen nach seinem Tod das penible Chaos einfach in Bananenkisten warf, durcheinanderschmiss, Zettel zu Büchern, Skripten unter T-Shirts und die Zeitungen unbesehen ins Altpapier, hätte es Max’ ordentlichen Sinn für Chaos empfindlich irritiert. Kathis Chaos dagegen hat, wie Gruber mit genervter Resignation konstatiert, keine erkennbare Ordnung. Nein, da ist absolut nicht die geringste Spur einer Ordnung. Warum hat sie diese Gemüsebeete genau hier, hier und hier angelegt, versetzt und schief, nicht irgendwie innerhalb eines vernünftigen, für einen normalen Menschen nachvollziehbaren Rasters? Warum hat sie drei Beete gegraben, und nicht ein großes, langes, um das man ordentlich hätte herummähen können, Rechteck um Rechteck um immer größeres Rechteck, mit schönen 90 -Grad-Ecken? Diese katastrophal angelegten Gemüsebeete ärgern Gruber, sie werfen ihn aus dem Konzept, sie zwingen ihn zu Richtungsänderungen und Entscheidungen, die sich nach der nächsten Kurve als falsch herausstellen. Es hätte, wenn es angesichts dieser elenden Unsystematik schon keine richtigen, so doch richtigere Entscheidungen gegeben. Er hätte dieses Zwischenstück dort drüben zuerst mähen sollen, dann wäre er hier jetzt nicht zu einer Wende gedrängt worden, die ihn wiederum zwingt, noch mal über bereits gemähtes Gras zu fahren, was den Rasenmäher erneut zum Verenden bringt. Gruber nimmt das persönlich. Ja, doch. Er würde jetzt gerne rauchen. Ja, er sollte jetzt erst mal eine rauchen, Gruber fingert das Zigarettenpackerl aus der Seitentasche seiner Cargo-Bermuda, wobei sein Blick unweigerlich die unfassbaren Holzclogs streift, zu denen Kathi ihn überredet, nein, gezwungen hat: Wenn dir deine Zehen etwas bedeuten, mähst du bitte lieber nicht in Flipflops. Ich kann das! Hast du keine anderen Schuhe mit? Segelschuhe. Dann zieh dir bitte Toms Wanderschuhe an, oder seine Laufschuhe. Ja, spinnst du? Sicher nicht. Dann nimm dir die Gartenclogs da drüben, die braunen müssten dir passen. Gruber zieht an seiner Zigarette und blickt über die blühenden, hügeligen Wiesen, die auf dieser Seite an Spießers Grundstück anschließen und auf denen erstaunlicherweise sechs, nein sieben Kühe weiden. Ungewöhnlich in dieser Gegend, weil in diesem Teil des Landes Kühe nie auf der Wiese stehen, in diesem Teil des Landes lässt man die Kühe im Stall, mäht ihnen das Gras, fährt es ihnen in den Stall hinein und gabelt es ihnen vor die Mäuler. Tom hat sich gestern beim Abendessen darüber ausgelassen, so eine unglaubliche, unnatürliche Idiotie, und Gruber muss nun zugeben, dass ein paar gefleckte Kühe auf so einer grünen Wiese doch sehr dekorativ wirken. So eine ländliche Wiese sieht mit Kühen wesentlich besser aus als ohne. Gruber nimmt noch einen Zug seiner Gauloise und tritt dann, mit einem scheelen Blick Richtung Haus, mit den Clogs den glühenden Stummel tief in den Boden. Dann reißt er am Starter des Rasenmähers, und noch einmal, und noch einmal, und denkt, als das verfluchte Scheißding endlich anstottert, wie das möglich ist, wie das bitte möglich sein kann, dass in einer Familie zwei derart gegensätzliche Persönlichkeiten entstehen können. Wurde man nicht, denkt Gruber, in denselben Genpool gelaicht und ist dann im selben Biotop unter denselben Bedingungen aufgewachsen? Als Kinder derselben mehr oder weniger kaputten Eltern? Na gut, denkt Gruber, während er den Mäher um eines der vermaledeiten Beete herumschiebt (und dabei bemerkt, dass es den Grasschnitt über das Gemüse und die nachlässig gejäteten Wege fegt, okay, das ist wahrscheinlich eher suboptimal, das findet Kathi jetzt sicher nicht so gut, weshalb Gruber sein eh schon ruiniertes Bahnenmanagement mit einer 180 -Grad-Wendung weiter zerstört), na gut, Kathi ist drei, fast vier Jahre älter als er, zudem das erste Kind, die neigen ja, hat Gruber über erste Kinder gehört, zu einer gewissen Rebellion, speziell die weiblichen. Die müssen sich durchsetzen und
Weitere Kostenlose Bücher