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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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Spießer gerichtet hat.
    «Danke dir», sagt der Spießer.
    Der Spießer kennt etwas Derartiges wie einen netten, freundlichen Gruber nicht, und er sollte sich, denkt Gruber, auch lieber erst gar nicht daran gewöhnen. Das bleibt nicht so. Das war jetzt eine Ausnahme. Und er würde dem Spießer gerne umgehend den Beweis dafür liefern, dass er übrigens noch der Alte ist und er sich bitte keine Illusionen machen soll, aber zum ersten Mal fühlt er sich dazu zu schwach. Zum ersten Mal erwägt er die Möglichkeit, dass er im Moment vielleicht doch nicht mehr ganz der Alte ist. Er hat fix vor, wieder der Alte zu werden, gleich, umgehend, unmittelbar nach dem Essen, nur einen Moment noch. Aber im Augenblick will er in diesem verwitterten Rattansessel knarzen, an diesem fantastischen Huhn kauen und Kathis schockierten, erschütterten Blick mit einem ehrlichen, glücklichen kleinen Lächeln beantworten. Jaja, er weiß schon, dass das für Gruber-Verhältnisse eigenartig war, ja, okay, höchst merkwürdig. Aber er wird schon wieder normal, keine Angst. Nur ein winziges Momentchen noch, er ist gleich wieder da.

Nein, es ist nicht so, dass Gruber handwerklich unbegabt wäre. Gruber ist ein handwerkliches Neutrum, aus dem einfachen Grund, dass er nie das Bedürfnis, die Gelegenheit oder die Notwendigkeit hatte, sich in irgendeiner Weise handwerklich zu betätigen. Während eines von handwerklich unbegabten Eltern finanzierten Jurastudiums in einer von den Eltern gekauften Neubauwohnung findet ein menschlicher Organismus wie der Grubersche die Ausbildung und Ausprägung handwerklicher Fertigkeiten nicht zwingend vonnöten. Gruber jedenfalls hatte seine studentischen Energien auf Büffeln, Saufen, Vögeln und Büffeln konzentriert und, wenn eine Glühbirne einzuschrauben, ein Bild aufzuhängen oder ein Abfluss zu entstopfen gewesen war, Max angerufen. Max hatte er später das kleine Zimmer, das Gruber eh nur als Rumpelkammer verwendete, für die Winzigstmiete überlassen, die sich Max, den Gruber schon seit dem Kindergarten kannte, gerade eben leisten konnte. Woraufhin Gruber seine Hände praktisch gar nicht mehr benutzt hatte, außer zum Tippen, Gläserheben und Frauenbefingern. Max war eingezogen und hatte wie eine Mutter fortan alles Haushaltliche erledigt, inklusive Spülen, Wäsche waschen und der Zubereitung der bald legendären Max’schen Nudelsuppe, die, kaum wohnte Max bei Gruber, praktisch ununterbrochen auf dem Herd simmerte, bis Max – genau. Deswegen. Jetzt weiß er es wieder. Er hatte es verdrängt. Deswegen. Deswegen mag er bis heute keine Suppe. An Max hat Gruber, wie ihm nun in den Sinn kommt, während er einen alten, grausam lauten Rasenmäher über den Teil des Grundstücks schiebt, der von Kathi und dem Spießer für Kurzrasigkeit vorgesehen ist, schon lange nicht gedacht, gar nicht mehr gedacht. Und das wundert ihn jetzt. Weil, Max eben. Wieso hat er nicht an Max gedacht? Max ist ja auch tot. Den hat es aus dem Leben gefetzt wie das abgeschnittene Gras aus diesem Mäher. Tschk, abgeschnitten, tschk weg. An Max hat er gar nicht gedacht, aber jetzt denkt er an Max und daran, wie das war, als Max plötzlich nicht mehr da war. Wie Max in dieser Nacht nicht heimgekommen ist, und wie Gruber sich natürlich nichts dabei gedacht hat, und wie am nächsten Morgen, irrsinnig saufrüh die Wurzinger anrief, eindeutig hysterisch und ins Telefon geheult und geschluchzt hat, dass der Max tot ist, dass der Max in der Nacht von einem Auto erwischt worden war, am Gürtel, er wollte den Gürtel überqueren, angesoffen, das Auto hatte den Max voll erwischt, ihn auf die mittlere Spur der Straße geschleudert und dort war ihm, die Wurzinger schrie jetzt, ein Lastwagen über den Kopf gefahren, einfach direkt über den Kopf vom Max.
    Gruber erinnert sich, wie er danach in die Küche ging, Wasser aus dem Hahn in ein Glas rinnen ließ, trank, aufs Klo ging, sich die Hände wusch, ein wenig im Flur auf und ab und schließlich zu Max’ Zimmer ging, Max’ Tür aufmachte und Max’ Türme und Stapel anschaute. Er erinnert sich daran, wie Max damals abwesend blieb und immer abwesender wurde in der Neubauwohnung, und wie seine Abwesenheit sich immer konkreter manifestierte in all den Sachen von Max, die noch herumhingen und herumstanden und die Gruber ständig erst übersehen und vergessen ließen, dass Max nicht mehr da war und ihn dann immer wie mit einem Hammerschlag daran erinnerten, dass Max tot war. Die Nudelsuppe. Max’ letzte

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