Gruber Geht
hab ich nicht, hab ich nicht, und dass er aufstehen, aufstehen, aufstehen sollte und hinuntergehen, hinunter, die Treppen hinab, wo Kathi sicher schon auf ihn wartet und wo der Spießer ssssssicher schon flüsssssstert, dassssss dassssss wieder typischschschsch issssst. Aaaaaaber eeeeeben geraaaaaade jetzt kann Gruber nicht aufstehen. Und will nicht. Und kann nicht. Und muss nicht, er hat den Siechenbonus, wie oft hat man das, man muss das ausnützen. Ja. Mhm. Jaaaa. Draußen hört er die Kinder streiten, dann Kathi schimpfen, dann eins der Kinder maulen, dann die beschwichtigende Stimme des Spießers, dann einen Vogel zwitschern, dann den Wald rauschen, wie kitschig ist das denn, dann das kleinste Kind, es kichert ausgelassen, dann den Spießer, dann nichts mehr.
Es gibt Huhn zum Abendessen, gefüllt mit Salbei und Zitrone, dazu Zucchini und Mangold, mit Knoblauch in Olivenöl gebraten und die Erdäpfel aus Kathis Garten. Er hat ihr, als er nach fast drei Stunden Schlaf wieder aufgewacht und aus dem Bett gekrochen und dann ernsthaft aufgestanden war, halb verschlafen, mit einer Blümchenkaffeetasse in der Hand, dabei zugesehen, wie sie sie ausgrub, wie sie dicke gelbe und lila Kartoffeln aus der Erde wühlte. Der Spießer hat gekocht, er kocht ganz gut, das muss man ihm lassen, Gruber nimmt sich, ja gerne, nach. Und auch noch ein Glas Wein, danke. Die Kinder haben die kleinen Hendlhaxen abgenagt, die ihnen der Spießer extra mitgebraten hat, ein paar Kartoffeln zerdrückt, das Gemüse verschmäht und sind dann abgezogen, in irgendeinen entlegenen Teil des Gartens, Hasen streicheln, sich mit Stecken hauen, Käfer quälen, was auch immer. Was Kinder halt so machen, es ist Gruber eigentlich egal, es ist ihm nur total recht, wenn sie es woanders machen, Minimum dreißig Meter entfernt von der kitschig weinberankten Veranda, auf der er sitzt. Auch wenn Kathis Kinder eigentlich ganz nett sind, also innerhalb ihrer kindgegebenen Möglichkeiten, und die sind durch das naturgemäß Nervtötende, das Kindern nun mal immanent ist, beschränkt. Dass sie zum Beispiel immer viel zu laut sind und praktisch ausschließlich Frequenzen benutzen, die den Ohren von Erwachsenen schlicht unzumutbar sind. Schädlich eigentlich. Eltern halten das eben gerade noch aus, okay, die schalten mit der Zeit aus lauter Erschöpfung wahrscheinlich einfach irgendwie ab. Eltern muss die Brut wahrscheinlich in alarmistischen Tonlagen bei der Stange halten, um sich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und ihre zuverlässige Versorgungstätigkeit zu garantieren. Für einen Onkel ist Kindergeplärre dagegen schon eine reine Quälerei. Einmal, letztes Jahr in Kroatien, hat Gruber Kathi die Frage gestellt, ob die denn immer so anstrengend seien, und als Antwort ein schwer irritiertes Äh? erhalten, weil die Kinder offenbar eben gar nicht anstrengend, sondern eigentlich gerade besonders easy waren. Gruber, hatte Kathi gesagt, habe ja tatsächlich nicht die klitzekleinste Ahnung davon, wie ein tatsächlich anstrengendes Kind klinge. Seither unterlässt Gruber jeglichen Kommentar zu kindlichen Befindlichkeiten oder Äußerungstechniken. Weil, das hat Gruber auch gelernt, die Kids sind sowieso gleich wieder weg. Und wie gesagt, die sind eh ganz nett, doch, er hat schon schlimmere erlebt, also, es kommt ihm jedenfalls so vor. Die Große, Ida, ist jetzt ungefähr acht oder neun, sie wird jetzt, hat Gruber bemerkt, hübsch, hübscher als Kathi und sowieso viel hübscher als der Spießer. Sie hat des Spießers Hochbeinigkeit minus seiner weichen Dicklichkeit geerbt und Kathis warme Augen plus ihre und Mutters dicke, gerade, fast schwarze Haare, da könnte was Gutes herauskommen, wenn die mal fünfzehn ist und damit im Modelalter. Natürlich werden ihr Kathi und der Spießer hinsichtlich einer Modelkarriere keine große Hilfe sein, Gruber kann sich jetzt schon vorstellen, was die dazu sagen werden. Das arme Kind. Er wird sie unter seine Fittiche nehmen müssen. Wenn. Ja, wenn.
Denn zum ersten Mal fühlt Gruber sich krank. Wirklich krank. Krank, schwach und niedergeschlagen. Es ist nicht so, dass er die Sache bislang nicht ernst genommen hat. Er hat. Sehr. Praktisch unmittelbar mit der Diagnose kam der Überlebenswille, ein drängender, überwältigender Wunsch, am Leben zu bleiben. Dieser Überlebenswille ist, das hat Gruber auf seinem Chemotherapie-Bett auch von jedem einzelnen Mitpatienten gehört, mit einer Krebsdiagnose zwingend gekoppelt. Todesaussicht bewirkt
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