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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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hatte Carmen nicht sagen wollen, dass er nach Berlin fliegt, denn er hätte ihr dann auch sagen müssen, warum er nach Berlin fliegt, und Carmen hätte sich nicht, wie Philipp, mit billigem, leicht durchschaubarem Gelüge abspeisen lassen. Philipp hatte etwas von einem Glaskasten in der irgendwelchsten Etage und vom besten Hotelfrühstück der Welt gefaselt, und Gruber war es in dem Moment sowieso wurscht gewesen, wo er in Berlin wohnen würde, Hauptsache zentral. Irgendwo Mitte. Gruber hatte seinem Arzt erzählt, warum er nach Berlin fliegt, beim letzten Gespräch, nach dem neuen Versuch, den Tumor zu erledigen, nach der neuen Chemo, nach der es Gruber sowas von zusammengehauen hatte, aber sowas von.
    Es war zuerst alles fast genauso wie immer gewesen, das Krankenhaus, die Liege, das Lächeln der Ärztin, der Plastiksack mit der Flüssigkeit auf dem Baum, die Witze über die Tropfgeschwindigkeit, nur dass die Ärztin diesmal nicht mit sich handeln hatte lassen, 300  Milliliter pro Minute, nicht mehr. Auf dem Platz neben ihm hatte eine junge Frau gelegen, in seinem Alter, mit, wie Gruber erfragte, Brustkrebs, eine Brust war schon weg, hatte gleich nach der Diagnose abgenommen werden müssen, und Gruber hatte versucht, selbst herauszufinden, welche. Es war ihm nicht gelungen, da sie offensichtlich einen ausgestopften B H trug, 80  D, Minimum. Gab es extra B H s für Brustkrebspatientinnen, konnte man die kaufen im Kranken- und Pflegebedarfshandel, ein Körbchen leer, eines gefüllt mit Schaumgummi? Oder gab es passende Schaumgummis zum Körbchen ausstopfen, links oder rechts, je nachdem? Oder mussten sich die Brustkrebspatientinnen ihre B H s selber ausstopfen, mit alten Socken oder Watte oder gesammelten alten Einlagen von Wonderbras (Gruber hatte einmal aus Langeweile bei einer Fickbekanntschaft in der Lade gewühlt und unzählige ellipsenförmige Schaumgummiteile gefunden, schwarze, weiße, pink- und fleischfarbene), oder mit zerknüllten Zeitungen? Nein, Zeitungen vermutlich nicht, wegen Raschelgefahr. Die Frau trug eine Perücke. Glattes, hellbraunes, unecht glänzendes Haar, ein kinnlanger Pagenkopf mit dichten Stirnfransen, die ihr bis fast über die wimpernlosen Augen hingen. Es sah, wenn man etwas ahnte, nicht sehr echt aus. Wenn man nichts ahnte, vielleicht schon echter, dann glaubte man das vermutlich, warum auch nicht. Wer trug schon eine Perücke in dem Alter. Den falschen Busen sah man ja auch nicht. Die Frau war hübsch unter der Perücke, und Gruber fragte sich, wie wohl ihre richtigen Haare waren, wie sie wohl aussah mit echtem, lebendigem, wachsendem Haar. Und wie sie ohne Perücke aussah, ob sie eine totale Glatze hatte. Sie war nicht sehr gesprächig und beantwortete nur, was Gruber sie fragte, und fragte selbst merklich nur aus Höflichkeit zurück und Gruber fragte bald nicht mehr, sondern ließ sie weiterlesen in ihrem dicken Krimi eines skandinavischen Autors, während Flüssigkeit in ihren Arm tropfte. Wie in seinen. Es hatte geregnet, das Wasser war in fetten Schlieren über die Fenster des Krankenhauses geschlatzt und hatte die Aussicht auf die Stadt verschmiert. Gruber hatte sich zunehmend dizzy gefühlt. Nicht direkt schlecht, aber auch nicht gut. Er hatte die Zeitung weggelegt und nur noch in das nasse Fenster geschaut. Nachdem die Ärztin ihm den Zugang entfernt und ihn zum Drücken aufgefordert hatte, war er länger liegen geblieben als notwendig. Als er mit dem Lift nach unten gefahren war, hatte er seinen Magen ungut gespürt. Der Weg durch die Gänge nach draußen, vorbei an den Kapellen, Pizzaläden, Bäckereifilialen und Blumenhandlungen hatte ihn angestrengt. Seine Oberschenkel fühlten sich schwer an, beinahe manövrierunfähig. Gruber ging sehr langsam. Draußen vor den Glastüren rauchte er seine übliche Zigarette an, aber sie schmeckte nicht und verursachte ihm eine leichte Übelkeit, er trat sie nach drei Zügen aus. Er schob sich in ein Taxi und hatte keine Freude an der kurvigen Einbahn, die vom Krankenhaus weg führte. Auch nicht daran, wie der Taxifahrer auf Ampeln zuraste und dann abbremste. Am Lerchenfelder Gürtel ließ er anhalten, in zweiter Spur, der Taxler blieb sofort stehen, als Gruber ihn mit belegter Stimme dazu aufforderte. Entweder weil er die Panik darin gehört hatte oder weil er bei Fahrten vom Krankenhaus weg immer mit dem Schlimmsten rechnete, bremste er ruckartig, hinter ihnen hub wütendes Gehupe an, Gruber stieß die Tür auf, sprang aus dem Wagen

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