Gruber Geht
auf dem Rasen Fußball spielt, er hat das mit Kathi so verabredet, wegen dem Kurzen. Besser nicht zum Abschied winken, besser den Kurzen mit vorgelegten Torschüssen von eventuellem Abschiedsschmerz ablenken. Der Spießer hat jedem Kind am Rasenrand noch einen Kuss gegeben, aber Kathi, die sich vorher schon von den dreien verabschiedet hatte, hat ein beiläufiges Tschüss gerufen und ist erstaunlich cool an der Fußballmannschaft vorbei zum Auto marschiert, mit einer Tasche voller schönem Gewand und geilen Schuhen und dem offensichtlichen Willen, sich ohne ihren Nachwuchs ausgesprochen prima zu amüsieren. Ein bisschen sehr cool, findet Gruber. Sollte eine Mutter, eine verantwortungsbewusste Mutter, nicht etwas sorgenvoller sein, wenn sie ihre kleinen Kinder dem ruchlosen, selbstsüchtigen, familientechnisch weitgehend unbeleckten Bruder überlässt? Gut, sie hat immerhin das Abendessen vorbereitet, eine große, fertig belegte Pizza, die Gruber nur in den Ofen zu schieben braucht, vorheizen, volle Pulle 250 Grad, dann acht bis zehn Minuten backen, schaffst du das? Ja, Mutti, das schaffe ich. Der kleine Teil, auf dem nur Tomatensoße ist, ist für den Kurzen, Ida mag Salami, Egon Schinken und Salami. Für dich ist der Teil mit Oliven, Kapern und Sardellen, du magst das doch immer noch? Ja, er mag das immer noch, er wundert sich nur, dass sie sich das gemerkt hat.
Und nun ist er allein mit den Kindern. Es wird Gruber sehr bewusst, dass er eigentlich noch nie allein mit Kindern war, noch niemals in seinem ganzen Leben, und eine kleine Panik marschiert, ziemlich genau vom Hodgkin weg, durch seinen Körper. Was, wenn? Was, ja was, wenn, wenn?! Nicht mal sein iPhone funktioniert! Wie soll er Hilfe herholen, wenn was ist? Okay, es gibt ein Festnetz, trotzdem.
Es ist dann aber nichts. Gar nichts. Sie spielen Fußball, dann spielen sie nicht mehr Fußball, sie haben Durst (Gruber verdünnt Himbeersirup in einer alten Emaille-Kaffeekanne, die für derlei vorgesehen ist, und tut Eis hinein), sie haben Hunger (Gruber streicht ihnen Nutellabrote), die größeren Kinder verschwinden, Gruber mischt sich in der Küche einen sehr leichten Sommergespritzten und setzt sich damit auf die Veranda, und behält dann dort, rauchend, Beine auf dem Geländer, den Kurzen im Blick, der auf dem sonnenwarmen Pflaster vor der Haustür hockt und konzentriert seine hundert Spielzeugautos in Position bringt. Er hat Gruber ein paar davon vorgeführt. Was früher Matchbox-Autos waren, heißt jetzt Hotwheel. Der Kurze stellt ein Auto hinter das andere, in einer endlosen und, wie Gruber anerkennend konstatiert, schnurgeraden Reihe. Dann nimmt der Kurze eins nach dem anderen wieder weg und stellt sie, leise summend, nebeneinander. Es scheint irgendeine Ordnung zu geben, nach der die Autos gereiht werden, der Kurze tauscht da eins aus und ersetzt dort eins, aber Gruber durchschaut das System nicht. Es sind nicht die Farben und nicht die Marken, muss etwas anderes sein, wahrscheinlich etwas, das nur Menschen unter einszwanzig sehen. Dann drei Reihen nebeneinander, genau gleich lang, exakt parallel. Gutes Kind. Endlich ein Verwandter, der wenigstens ein bisschen was von Gruber hat.
Und ja, Gruber wundert sich selber, warum er noch hier ist. Er schaut auf seine nackten Füße auf dem Geländer, die Zehennägel gehörten geschnitten. Überhaupt wäre eine Pediküre dringlichst vonnöten, das Landleben mag gut fürs Gemüt sein und für den Organismus, für die Füße ist es die ultimative Katastrophe. Grubers Sohlen sind rau und rissig, und die Risse werden allmählich schwarz. Weil er schon so lange hier ist, weil er hier schon so lange mit seinen Zehenschlapfen herumflipfloppt. Er war noch nie so lange hier gewesen, nie länger als eine Nacht. Und er hatte auch diesmal nicht vorgehabt, so lange zu bleiben. Obwohl, stimmt vielleicht gar nicht, vielleicht hatte er es vorgehabt, immerhin hat er sich, wie ihm heute früh auffiel, acht Unterhosen, vier Polos, zwei kurze und zwei lange Hosen eingepackt, wahrscheinlich also hatte er es doch vor. Er kann nur nicht genau sagen, warum. Sein Bedürfnis, sich tagelang mit anderen Menschen in deren Behausung aufzuhalten, war bislang ungeheuer begrenzt, und gerade, was seine Familie anbelangt, hatte Gruber bis zur Stunde stets danach getrachtet, unmittelbar nach Ablauf der zwingenden Mindestaufenthaltsdauer möglichst viele Kilometer zwischen sich und die Verwandten zu legen. Wobei die Anlässe, an denen sich mehr
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