Gruber Geht
und übergab sich zwischen zwei parkenden Autos. Es war ihm völlig egal, ob ihn jemand dabei sah und für einen zur Unzeit Betrunkenen hielt. Der Taxler hatte ihn nur wieder mitgenommen, weil Gruber ihm ein Extratrinkgeld versprach und schwor, die Reinigung des Wagens zu übernehmen, falls. Gruber hatte es bis nach Hause geschafft, hatte aber nicht aufgesperrt, sondern auf die Klingel des Zahnarztes im dritten Stock gedrückt, nach dem Summen und Schlossöffnungsknacken die Tür aufgestoßen und sich dahinter schwer atmend und ohne Rücksicht auf Beinkleidverschmutzung auf die Stiege gesetzt, hatte überlegt, ob der Aufzug nicht zu riskant sei, hatte aber zugleich gewusst, dass er es unter keinen Umständen zu Fuß fünf, nein, faktisch sechs Stockwerke hoch bis in sein Penthouse schaffen würde, hatte sich am Geländer hochgezogen, dann mühsam über die kurze Treppe zum Lift geschleppt, hatte dort tief Luft geholt, war in den Aufzug gestiegen, hatte mit leichter Panik die Türen schließen sehen, hatte sich an die Wand gelehnt und den Gedanken an eine Aufzugsstörung zu verdrängen versucht und dabei langsam und bewusst eingeatmet und ausgeatmet. Und die Stockwerke anhand der LE D -Anzeige mitgezählt,
M, im Mezzanin war der Lift doch nicht immer schon so langsam gefahren, so schneckengleich gekrochen, heute war er definitiv langsamer als sonst, ganz zweifellos. Irgendwas stimmt
Etage 1 , nicht mit diesem Aufzug, irgendwas ist da kaputt. Wo kommt eigentlich die Luft in so einem Lift her, wird da extra Luft eingeleitet oder,
2 , ist das die ganz normale Luft, die halt in so einem Lift steht und immer wieder von den Liftbenutzern durchgeatmet und verbraucht
3 , wird und nur beim Öffnen der Lifttüren durch zufällig hereinwehende Frischluft ein wenig erneuert und mit Sauerstoff an-
4 , -gereichert wird? Und wie oft war die Lifttüre heute wohl schon aufgegangen, um frische Luft hereinzulassen und würde die Luft im Fall eines Gebrechens und längeren Halts
5 – endlich. Gütiger Gott, danke.
Gruber hatte es geschafft, den Schlüssel aus seiner Tasche zu fingern und die beiden Sicherheitsschlösser seiner Wohnungstür zu treffen und zu öffnen, hatte die Tür aufgemacht und hinter sich zugestoßen und sich dann einfach auf den Boden gesetzt. Und sich vor dem Schuhschrank flach hingelegt. Auf den Rücken. Und geatmet, minutenlang einfach nur geatmet, ein und aus, ein, aus, bis sich, ein, aus, sein Organismus so weit gefangen hatte, dass er sich wieder aufsetzen konnte, mit dem Rücken an die Tür gelehnt, um dort weiterzuatmen. Ein, aus, ein, aus, ein, aus. Um irgendwann vorsichtig aufzustehen und nichts als weiterzuexistieren.
Danach hatte er zwei Tage damit verbracht, sich auf sein Bett zu legen und wieder aufzustehen, um auf dem Klo kotzen zu gehen. Und sich wieder hinzulegen. Und wieder kotzen zu gehen. Und manchmal neben der Schüssel sitzen zu bleiben, die Hände am kühlen Rund, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Und zu hoffen, dass es jetzt dann besser würde, dass er sich bald normaler fühlen würde, dass die Übelkeit bittebitte weniger werden würde, jetzt dann gleich. Und dann mit größter Anstrengung den Kübel der Putzfrau zu suchen und nach einer Ewigkeit auch zu finden, den Kübel dann, während er sich zwischendurch einmal zehn Minuten vor die Kloschüssel kniete, sauber auszuwaschen und mit zum Bett zu nehmen. Und dann nur noch nach jeder dritten Speiberei aufzustehen, um den Eimer auszuleeren, kam ja eh nichts mehr, tat nur noch weh, war nur noch grausig. Alles tat ihm weh, alle seine Muskeln, und seine Haut, und das Fleisch darunter. Er sagte sich, dass seine extreme Reaktion auf diese Therapie gewiss ein Hinweis auf ihre Wirksamkeit war, unbedingt sein müsse, weil er bisher ja keine Beschwerden gehabt und der Tumor nicht reagiert hatte. Also. Er überlegte, ob er Kathi anrufen sollte, damit sie ihm etwas Haschisch besorgte, er hatte irgendwo einmal gelesen, TH C helfe gegen diese Chemotherapieübelkeit, war es nicht in manchen Ländern deswegen sogar legal? Gab es nicht auch in Österreich Ausnahmen für Krebspatienten? Krebspatient, das Wort erschreckte ihn wieder. Krebspatient. Krebspatient Gruber. Aber allein der Gedanke, das Haschisch dann rauchen zu müssen, vergrößerte die Übelkeit akut ins Unermessliche, außerdem war Kathi aus dem Geschäft schon lange draußen. Und seine Freunde koksten nur.
Am dritten Tag, als Gruber aufwachte, war es ihm besser gegangen. Er hatte
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