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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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durchgeschlafen. Er blieb liegen und checkte sein Befinden. Schien alles gut. Er schwang die Beine aus dem Bett. Gut, immer noch gut. Er trank Wasser aus der Flasche neben seinem Bett, nach wie vor gut. Es war, soweit Gruber das auf die Reihe brachte, Sonntag. Und er hatte Hunger, unvorstellbaren Hunger. Er ging in die Küche und holte aus dem Kühlschrank den Packen Toastbrot, die Butter und ein Glas von Kathis Erdbeermarmelade, er schob zwei Scheiben in den Toaster und aß zwischenzeitlich, während er auf das Toast-ist-fertig-Döng wartete, zwei Scheiben kaltes, labbriges Brot, einfach aus der Packung, ohne was drauf. Stieß das Messer in die Marmelade und steckte es einfach dem Toast hinterher in seinen Mund. Derart hungrig war Gruber, so elementar hungrig. Und er machte sich einen Espresso, zwei Espressi, unvernünftige drei Espressi, während er seine Erdbeermarmeladentoastscheiben aß, sechs Stück hintereinander, immer schon die nächsten beiden toastend, während er zwei noch schmierte und aß, gierig, im Stehen, an seine Kücheninsel gelehnt. Dann ging er ins Bad und putzte sich lange die Zähne und warf sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, noch einmal und noch einmal und fühlte sich gut, erstarkt, erfrischt, wiederergrubert, und spritzte sich nochmals Wasser ins Gesicht und fuhr sich durch die Haare und sah im Spiegel, wie seine Haare einfach von seinem Schädel herunterfielen. Seine Hand war voller Haare. Er sah, dass dort, wo er seine Hand über den Kopf geschoben hatte, eine sichtbare Spur zurückgeblieben war, während Haare immer noch über sein Gesicht und seine Ohren und in seinen Nacken rieselten. Und seinen Rücken hinab. Gruber fuhr sich erneut über den Kopf, und es hörte nicht auf. An manchen Stellen hielten seine Haare, von manchen verschwanden sie komplett, es taten sich blanke Hautstellen zwischen dichten Haarbüscheln auf, ohne System, ohne Sinn. Gruber sah sich im Spiegel mit Haaren, die auf seinem nassen Gesicht und in seinem nassen Bart klebten und auf seiner Brust, er sah diese Haaroasen auf seinem Kopf und die lichten Schneisen dazwischen und auch, dass sein bisschen Bart dünner geworden war, und er war schockiert, schockierter als er erwartet hatte, er war bis in die Knochen erschüttert, obwohl er nach der neuen Chemo damit und mit Schlimmem gerechnet hatte und gerade Schlimmes hinter sich und überstanden glaubte. Aber das hier war viel schlimmer. Das hier stellte ihn in Frage, es zerstörte endgültig einen der zentralen, substanziellen Parameter, nach denen Gruber zweifelsfrei Gruber war und sich schon immer, schon seit seiner Mittelschulzeit, als Gruber definiert hatte: Sein tadelloses Aussehen, seine strahlenden, hellen Augen im Kontrast zu seinem tollen, unverwüstlichen, dichten, braunen Haar. Jetzt waren nur noch seine Augen übrig, und die wirkten bizarr ohne den Kontrast der Haare, ohne irgendeine Entsprechung. Gruber wollte wegsehen, weggehen, damit nichts zu tun haben, aber so war es nun eben, so war er nun eben, und er blieb stehen vor dem Spiegel und sah genau hin. Die Verwüstung, die Entmännlichung, die faktische Entgruberung. Die Zerstörung der Gruberschen Grundfesten, der verlässlichen Pfeiler seiner Existenz. Er sah eine bislang eherne Basis seiner Selbstsicherheit zerbröseln. Aber er sah auch, dass er irgendwie trotzdem noch da war. Dass Gruber bestehen blieb, vielleicht deswegen, dass es nun eben so war und so sein musste, weil das, leider genau das, verhinderte, dass sonst auch der Rest von Gruber aus diesem Spiegel verschwinden, für immer aus allen Spiegeln und sonstigen reflektierenden Scheiben und aus der Welt überhaupt weichen würde. So war es nun eben. So sah er nun eben aus. Aber so war er da.
    Gruber drehte sich um, ging festen Schritts in die Küche, holte eine Schere, schnitt die Haarbüschel ab, rasierte sein Gesicht und rief schließlich Philipp an, weckte Philipp auf und ließ sich deshalb von Philipp beschimpfen. Aber Philipp kam und klingelte und schritt zur Tür herein und sah Gruber wortlos an und trank zwei Espressi und rasierte Gruber den Kopf mit dem Bartschneider, den Gruber sich bald nach der Nacht mit, hm, Henry, gekauft hatte (wovon Philipp absolut nichts zu wissen brauchte, nie etwas erfahren sollte), und rasierte dann noch einmal mit dem Nassrasierer darüber. Und machte während alledem, kaum dass er sich vom Schock des Gruberschen Anblicks erholt hatte, unablässig so letztklassig schlechte Glatzkopf- und Hautperückenwitze,

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