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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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wohl die Schulklasse gewesen, die hinten die halbe Zeit über gelärmt und gekichert hatte. Fuhren Schulklassen früher nicht in Zügen? Oder in angemieteten Bussen? Gruber glaubt sich zu erinnern, dass es früher spezielle Busunternehmen gab, die überwiegend Schulklassen chauffiert hatten, zu Landschulwochen, Wienwochen, wohin auch immer. Seit wann gab es denn überhaupt Berlinwochen? Und seit wann fliegen Schulklassen? Seit es sich jeder leisten kann, sogar Sozialhilfeempfänger können sich ja heutzutage das Fliegen leisten, und falls nicht, dann nur weil der neue  42 -Zoll-Plasma-Bildschirm gerade das Haushaltsbudget von zwei Monaten verschlungen hat. So arm ist ja heutzutage keiner mehr, dass er nicht Minimum ein  120 -Zentimeter-Diagonale mit  280 Programmen im versifften Wohnzimmer stehen hat. Zwischen den leeren Bierflaschen, den schimmligen Pizzakartons und den brüllenden Kleinkindern. Sieht man ja ständig, im Unterhosenfernsehen. Nicht, dass Gruber sich sowas ansähe, hat er bloß zufällig mal beim Durchzappen erspäht.
    Das Gepäckband läuft noch nicht mal, und es ist heiß hier, facking heiß und schwitzig. Waren Flughäfen früher nicht klimatisiert, hat man früher nicht immer gefroren auf Flughäfen, hat man sich auf Flughäfen früher nicht ständig erkältet vor lauter Aircondition? Jetzt rinnt einem der Schweiß in den Kragen und in die Augen und man wird, wenn man eine Sekunde nicht aufpasst, von völlig Fremden antranspiriert, es ist komplett ekelhaft. Seit der Krise sparen sie wirklich bei allem. Demnächst wird man sich das Gepäck selber vom Wagen nehmen müssen. Gruber wird langsam unrund. Nicht, dass er Termine hätte, er hat schon länger keine Termine mehr und hier schon gar nicht. Er weiß noch nicht einmal genau, was er hier überhaupt macht und will. Er fand es richtig, herzukommen, nach Sarahs SM S und nach dem Streit, der darauf folgte. Und nachdem Sarah auf seine SM S e und seine Mails nicht mehr antwortete und seine Anrufe nicht annahm, nicht einmal, als er es endlich schaffte, seine Rufnummer zu unterdrücken. Schon merkwürdig. Jetzt kennt er die noch fast gar nicht, und schon hat man eine veritable Krise. Na ja, unter diesen Umständen. Herkommen schien jedenfalls das Beste. Einmal rauskommen war auch nicht schlecht, nach den letzten Wochen. Endlich startet das Gepäckband mit einem hässlichen Sirenenton, Gruber wird von einer Frau in Badeschlapfen beinahe umgerempelt und rempelt grob zurück, was ein großes Keifen zur Folge hat und das übliche Köpfedrehen, plus den Auftritt eines fetten, behaarten Apparats, ebenfalls in Strandpantoffeln. Aber bevor sich Gruber zum zweiten Mal in diesem Jahr die Fresse schiefhauen lässt und noch dazu zum zweiten Mal von so einem Volltrottel, winkt er beschwichtigend ab und stellt sich an einen entfernten Teil des Bandes, in den Familien-und-andere-Loser-Abschnitt, in dem er normal bestimmt nicht stehen würde, ganz gewiss nicht. Aber er hat dieses Jahr schon genug auf die Schnauze gekriegt, und sicher ist sicher. Und ausnahmsweise meint es das Schicksal gut mit ihm. Sein silberner Samsonite ist unter den ersten Gepäckstücken, die aus dem schwarzen Loch ploppen, und kommt zu ihm gefahren, bevor die Badeschlapfen ihre Penny-Nylonkoffer abgreifen können. Was Gruber die Möglichkeit verschafft, dem lauernden Fettsack im Abgang noch kurz den Mittelfinger zu präsentieren. Mit seinem strahlendsten 32 -Zähne-Lächeln. Tschüssikovski, Arschloch, schönen Tag noch, daheim im Plattenbau. Du Trottel.
    Gruber hat im Hotel Mandala reserviert, am Potsdamer Platz. Er war schon lange nicht in Berlin gewesen, Philipp hat ihm das empfohlen. Als er sein Zimmer betritt, bereut er, dass er nicht Carmen gefragt hat, wo er in Berlin wohnen soll. Schon schön hier, aber. Ein Tipp von Carmen hätte garantiert mehr Seele gehabt, zu viel Seele vermutlich, carmenmäßige Megaseele, doch es wäre sicher besser gewesen als das hier. Echter. Hier herrscht große, freundliche, bemüht blonde Seelensubstitution. Es gibt einen Fotorahmen mit einer Gebrauchsanweisung («Damit Sie sich auch weit entfernt von Ihren Lieben bei uns zu Hause fühlen, haben wir diesen Bilderrahmen während Ihres Aufenthaltes für Ihr persönliches Photo reserviert»), aber Gruber hat keine Lieben, von denen er in diesem Hotelzimmer angestarrt werden wollte. Noch nicht, jedenfalls. Der Blick in den grünen, offenen Innenhof ist schön. Carmen hätte etwas noch Schöneres gewusst. Aber er

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