Gruber Geht
dass ich siebenunddreißig bin. Und wie es wäre, wenn ich das Kind kriegen, wie ich leben würde. Was John dann sagen würde. Wie ich mit einem dicken Bauch aussehen würde und mit einem Baby, und wie John mit einem Baby aussehen würde. Wie Johns Baby aussehen würde. Wie es wäre, ein Kind auf die Welt zu pressen. Ich sah Frauen mit Bäuchen, Frauen mit Babys, Frauen mit kleinen Kindern, und ich sah mich selbst. Ich dachte an die Filme, in denen die Mütter so furchtbar schrieen und nachher so glücklich waren. Auf einmal konnte ich mich nicht mehr richtig erinnern, warum ich eigentlich nie eins gewollt hatte. Plötzlich war da so ein Gefühl, ich will doch eins, irgendwann. Ich hab gegoogelt, welche Auswirkungen die Krebskrankheit des Vaters auf das Kind und seine Gesundheit haben konnte. Ich weinte viel, ich weiß gar nicht warum, jetzt nicht wegen der Schwangerschaft, sondern wegen irgendeinem Scheiß, weil morgens kein Kaffee mehr da war, weil ich in der Weißwäsche etwas Blaues mitgewaschen hatte, wegen der
Merci
-Werbung im Fernsehen, wo sie sich so umarmen. Echt, wegen solchem Blödsinn. Oder weil mir ein Tubendeckel aus der Hand und auf den Boden gefallen war, deshalb weinte ich, total geistesgestört, weil mir doch ständig Tubendeckel runterfallen, und Deckel von Marmeladengläsern und Schraubverschlüsse von Tetrapacks, ich bück mich praktisch den ganzen Tag lang, um einen Verschluss aufzuheben und abzuspülen und dann gleich nochmal abzuwaschen, weil er mir während des Spülens in den versifften Ausguss gefallen ist, ich habe das in der Genetik, immer schon gehabt und Juli hat das auch, und ich hab mich immer schon gefragt, was eigentlich andere Leute mit der vielen Zeit machen, die sie nicht damit verbringen, Schraubverschlüsse aufzuheben, unter dem Kühlschrank hervorzufitzeln und abzuwaschen ... Aber sogar das, so ein vollkommen normal aus meiner Hand rutschender und über den Fußboden hoppelnder Drehverschluss, war jetzt ein Grund zum Heulen, jede Kleinigkeit einfach. Mir war oft nicht gut in der Früh, und manchmal war mir richtig schlecht. Ich versuchte so zu tun, als sei nichts, aber da war was, da war eindeutig was und ich musste immerzu daran denken.
Und das war ganz anders als beim ersten Mal. Beim ersten Mal war ich vierundzwanzig gewesen, hatte noch Medizin studiert oder zumindest so getan als ob, hab dabei schon regelmäßig in einem Club aufgelegt und mich fürchterlich in dessen Besitzer verliebt, so ein gut aussehender Charismatiker, der eine ganze Runde älter war und mich hin und wieder auf dem Ledersofa in seinem Büro vögelte, hauptsächlich, weil ich eben gerade da und so verliebt in ihn war. Er hatte Lippen wie Mick Jagger und war ein furchtbarer Liebhaber. Rammelte wie ein Karnickel. Ich war so verknallt, dass mir das egal war, und ich ließ mir gefallen, dass er mich nachher sofort wieder ignorierte und praktisch permanent auf Koks war, ich nahm ja schon damals keine Drogen außer Alkohol und Zigaretten, habe nie auch nur irgendwas probiert. Ich war total verschossen in den, aber als ich dann von ihm schwanger war, kam ich keine Sekunde auf die Idee, das Kind zu bekommen. Ich war doof, aber so doof auch wieder nicht. Ich machte einen Termin in der Klinik aus, dann erzählte ich es ihm, und alles was er sagte war, ob ich schon einen Termin für den Abbruch hätte und wie viel er zahlen müsse. Ich Idiotin war so nett, ihm nur die Hälfte zu verrechnen, obwohl ich nichts verdiente außer der D J -Kohle, und das war damals noch nicht viel. Aber ich war zu stolz, um ihm alles aufzubrummen, was ich hätte tun sollen. Lieber aß ich zehn Tage nur Dosenbohnen mit Tomatensoße. Es dauerte fast vier Wochen bis zum Termin, und ich dachte in der Zeit schon gelegentlich daran, wie es wäre, dieses Kind zu bekommen, ein Kind zu haben, aber ich erwog es nie ernsthaft. Der Typ verlor die ganzen Wochen kein Wort darüber. Und ich war ja so cool, ich war derart cool, dass ich am Abend vor der Abtreibung noch auflegte, und genau an dem Abend kam er und fragte nach dem Termin. Voll zugekokst natürlich. Ich sagte: Morgen. Und er sagte: Vielleicht solltest du das Kind doch kriegen. Kann man sich das vorstellen? Völlig geistesgestört. Nachdem er die ganzen Wochen an mir vorbeigeschaut hatte, wenn ich im Club war. Ich war zwar nach wie vor recht verknallt in den, aber ich stiefelte trotzdem am nächsten Nachmittag in die Klinik, ganz allein, und ließ es wegoperieren. Ich weiß noch, wie
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