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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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fast schmerzhaft. Man wird zum Komplizen, ohne dass man darum gebeten hat, aber man ist es und will es. Man bekommt etwas zu sehen, das einen irgendwie verpflichtet. Dämlich, ich weiß, ich kann das gar nicht richtig erklären. Wahrscheinlich hat es auch mit der Krankheit zu tun, vielleicht ist es, weil ich weiß, wie krank er ist, er hat mir ja an dem Abend alles erzählt, vielleicht, dass ich ihn deshalb halt anders sehe. Unscharf vielleicht. Und dass ich diese Augen anders wahrnehme und falsch interpretiere. Dieses Leuchten. Dieses Brennen. Diese brutale Ungeschütztheit ... Das ist vielleicht nur die Krankheit. Ich kenne ihn ja nur krank. Ich weiß auch nicht. Es war jedenfalls extrem verbindlich, irgendwie.
    Es ging mir richtig gut, als ich zurückkam. Die Arbeit mit Fehringer war super gelaufen, die Aufnahmen waren klasse geworden und wir hatten genau die gleichen Vorstellungen, wie die Sache klingen soll, da kam unheimlich schnell was Gutes, Unerwartetes heraus. Wir hatten jedenfalls statt einem gleich drei Tracks gebastelt und beschlossen, in Zukunft mehr miteinander zu machen. Wodurch Wien auf einmal ein Ort geworden war, an dem ich etwas hatte, ja, eine ganze Menge hatte, ein Label und einen Lover. Ich bin ja viel unterwegs durch meine Arbeit, und das ist okay, manchmal anstrengend, meistens okay, aber daheim fühle ich mich doch nur in Berlin. Und jetzt fühlte sich Wien auf einmal ein wenig wie ein Zweitdaheim an. Zumindest wie die Möglichkeit für sowas. Ich hatte den Vormittag in der Stadt vertrödelt und mir eine große Ledertasche gekauft – John sagte später, das sei keine Tasche, sondern eine Einraumwohnung zum Umhängen – und dann hatten Fehringer und ich bis in die Nacht gearbeitet. Danach hatte er mich mit ins Anzengruber genommen und mir dort am Stammtisch ein paar Leute vorgestellt, die alle was Kreatives machten, Fotos, Musik, Fernsehen, Bücher, Zeitungen, alles laute, egozentrische, unfassbar trinkfeste Menschen mit einer Neigung zu sehr derben Witzen. Es gefiel mir. Ich unterhielt mich lange mit einem Kerl, der mit einem anderen eine Talkshow hat, er war sehr betrunken, dabei aber merkwürdig intelligent und luzide. Als John irgendwann nach Mitternacht kam, um mich abzuholen, stellte sich heraus, dass meine Nervosität, wenn die jetzt zusammentreffen, ganz unnötig gewesen war. Er kannte ein paar von denen, zumindest vom Sehen, er trinkt ja hier auch öfter einmal, er wohnt ja nicht weit. Ich beobachtete, wie die miteinander redeten, Porschefahrer gegen Kreativwirtschaft, kann leicht schiefgehen. Das kann ja sowas von schiefgehen, ist dazu regelrecht prädestiniert. Er hielt sich erstaunlich gut. Ein paar Mal merkte ich, dass er sich bremsen musste, dass er eigentlich den Impuls hatte, einem von denen übers Maul zu fahren, aber er tat es nicht. Wegen mir nicht, das sah ich daran, wie er zwischendurch zu mir herüberblickte, mit diesen hellen, blitzenden Augen, und sie schauten sehr warm.
    Dann war ich zurück in Berlin, und da ging es mir erst recht gut. Dann hab ich ein bisschen abgenommen, machte Schluss mit Felix und fuhr übers Wochenende mit Ruth auf Wellness, irgendwo in der Sächsischen Schweiz, wir ließen uns massieren und einschmieren und abtupfen und peelen und epilieren, flirteten mit allem, was X Y war und tranken abends Cocktails, war echt nett. Ich simste und mailte regelmäßig mit John und war schon ziemlich verliebt. Felix war ein wenig nervig, nur ein wenig, und die vielen Rosen machten sich in meiner Bude eigentlich gut. Dann war ich ein bisschen nervös, weil ich ein paar Tage nichts von John hörte. Und dachte, er will mich doch nicht. Ruth meinte: Der kann sich nach dir alle zehn Finger ablecken. Dann dachte ich, ich hab eh was Besseres verdient als einen Porschefahrer. Felix wollte noch einmal mit mir essen gehen, richtig, unversteckt, nur noch einmal über alles reden. Ich machte aus schlechtem Gewissen und Mitleid mit und ging aus schlechtem Gewissen und Mitleid noch einmal mit Felix ins Bett. Danach hatte ich sofort, ach was, noch währenddessen hatte ich ein unfassbar mieses Gewissen wegen und Mitleid mit John, der in Wien litt und in Berlin betrogen wurde. Ich dachte mir zwar, so zusammen sind wir jetzt auch wieder nicht, ja, eigentlich sind wir ja gar nicht zusammen. Dann schickte John mir genau in der Nacht eine SM S , er habe Sehnsucht nach mir, L, John. L! Da hatte ich ein noch viel mieseres Gewissen, aber Ruth sagte: Scheiß dir nix, das kann

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