Gruber Geht
wie stellst du dir das vor?» So ungefähr geht das Gespräch zwischen Sarah und Gruber, die Aussprache zwischen Sarah und Gruber, so voll ins Klischee geht das.
«Wie stellst du dir das bitte vor?»
Es ist Gruber klar, dass die Frage ein wenig, sagen wir, aggressiv klingt. Negativ. Und abweisend. Aber es ist Gruber, er ist ja kein Idiot, im Prinzip schon klar, wie das ausgehen wird, aber das gibt er jetzt sicher noch nicht zu. Das braucht Sarah jetzt definitiv noch nicht zu wissen. So billig kriegt sie es auch wieder nicht, auch wenn, tja, wenn er sich vielleicht ein wenig sehr viel Zeit gelassen hat für dieses Gespräch, vier, fast fünf Wochen? Bitte, er ist krank. Und das Kranksein hat bitte in den letzten Wochen echt was hergemacht. Und ihn, sagen wir, von anderen Dingen ein wenig abgelenkt. Ihn vielleicht andere Dinge ein bisschen verdrängen lassen, könnte man auch sagen.
Und angefangen hat das Gespräch natürlich anders. Angefangen hat es damit, dass sie ziemlich stark fremdelten, beide, angefangen hat es mit nervösen Höflichkeiten und Verlegenheiten, mit einem scheuen Bussibussi, freundlichem Geplänkel, mit einem beiderseitig sehr zurückhaltenden Wie-geht-es-dir, auf das man, bittebitte, jetzt keinesfalls sofort eine ehrliche Antwort will, später gern, aber nicht jetzt auf der Stelle, jetzt erst mal nur anfangen. Das geht ihr wohl ähnlich wie ihm. Sie sah auf seinen kahlen, heute von einer schicken, beige-blau karierten Mühlbauer-Schirmkappe bedeckten Schädel, er schielte auf ihre Körpermitte, an der allerdings keine auffällige Ausbuchtung zu erkennen war, obwohl sie schmale Jeans trägt und ihre Bluse in den Bund gesteckt hat. Vielleicht hat sie ein bisschen zugenommen, Gruber kann es nicht genau sagen, ein kleines bisschen vielleicht. Grün. Die Bluse ist satt grasgrün. Steht ihr gut. Passt zu diesen Haaren, die aussehen, als würden sie nach Heu riechen. Gruber hätte gern geraucht, hätte gern die Hände ein wenig beschäftigt, es fühlte sich für Gruber an wie eine der Standardsituationen, in denen er unbedingt rauchen sollte. Aber Sarah raucht natürlich nicht mehr, machen Schwangere nicht, es ist nicht mehr wie in «Mad Men», wo die Schwangeren mit dem Whiskyglas im Kinderzimmer stehen und rauchen. Raucht er halt auch nicht. Es passt zu der allgemeinen Zurückhaltung, in der man sich gerade übt, gruber- wie sarahseits, man kann, man will ja nicht so umstandslos in solche Wichtig-, ja, Lebenswichtigkeiten hinköpfeln. Man muss sich erst abkühlen oder aufwärmen oder was auch immer. Man sitzt übrigens im Kuchi, also, vor dem Kuchi, der Abend ist warm, es ist lauschig. Gruber ist, hört hört, mit dem Rad gekommen, einem Rad, das er sich in seinem Hotel ausgeliehen hat. Hier in Berlin, hat Gruber vom Taxi aus festgestellt, ist das Radfahren irgendwie schicker als in Wien, das Radfahren sieht an den Menschen in Berlin wesentlich besser aus, es sitzen in Berlin auch viel coolere Menschen auf Rädern als anderswo, und viel schönere Frauen. Gruber fand, er sollte das auch einmal ausprobieren und merkte dann gleich, holla, das geht erstens noch, es stimmt tatsächlich, dass man das Radfahren nicht verlernt, auch wenn man die letzten fünfzehn Jahre ausschließlich auf Hometrainern fuhr. Und zweitens passt es gut zur Schirmmütze, irgendwie. Auch wenn das Rad in einem dummen Gelb lackiert ist. Und nicht annähernd so schick wie andere Räder, die er gesehen hatte. So eins von denen, so eins hätte er direkt gern. Vielleicht kauft er sich so eins. Obwohl: Berlin ist flach, Wien nicht.
Den Innenhof, in dem sie jetzt sitzen, teilen sich zwei Asiaten, und Gruber ist froh, dass Sarah denjenigen ausgesucht hat, der sich Sessel mit Lehnen daran leistet. Drüben im Cocolo sitzen sie auf Bierbänken. Gruber hasst Bierbänke. Haben sie aber in Berlin überall, selbst vor den schickeren, teuren Läden, hat Gruber beim Vorbeiradeln schon bemerkt. Findet Gruber nicht gut. Findet Gruber eigentlich eine Sauerei. Man zahlt ja schließlich nicht nur für das Essen, man zahlt auch für den Sessel und dafür, dass man sich an- und zurücklehnen kann beim Essen. Oder beim Reden, besonders, wenn man ein schwieriges Gespräch führen muss, und das hier, so viel steht fest, ist ein schwieriges Gespräch, eines, das gelegentliches Zurücklehnen unbedingt erfordert. Gut also, dass Gruber eine Lehne hat. Gruber ist darüber gerade sehr froh, und um das zu zelebrieren, lehnt er sich einmal vor, neigt sich Sarah
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