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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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lähmten ihn nicht nur
die Auswirkungen des Sonnenstichs, sondern zunehmende Mattigkeit. Er hatte das
Gefühl, Eis in den Adern zu haben. Von weiter links rief Pauline, sie bräuchte
seine Hilfe. Als er bei ihr ankam, stand sie mit gespreizten Beinen über einem
niedrigen Strauch, der breit aus einer kleinen sandigen Felsspalte wucherte.
„Ist das ein Erd-Burzeldorn?“, fragte er.
    „Kein besonders gutes Exemplar, aber wir sollten ihn
mitnehmen. Kannst du mit anfassen?“
    Engler legte den Leinensack ab und stellte sich Pauline
gegenüber an die abschüssige Seite des Busches. So konnte er das Gefälle nutzen
und eine bessere Hebelwirkung erzeugen. Paulines Haltung wirkte einfach
lächerlich. Ein altes Weib, das sich mit linkischen Bewegungen an einem Strauch
abmühte.
    Er griff tief am Stamm der Pflanze zu, packte das spröde,
holzige Geäst und aktivierte noch einmal seine Kräfte. Ganz langsam gab der
Boden das Wurzelwerk frei. Spinnen und Ameisen krochen über seine Haut.
    Der Schmerz, mit dem die plötzlich auftretende Kolik
seine Eingeweide durchschnitt, nahm ihm den Atem. Jetzt hatte der Sonnenstich
auch noch Magen und Darm erreicht und würde sich in einem ausgesprochen
unpassenden Durchfall äußern. Er zog wieder an dem Strauch. Die ganze Aktion
musste umgehend ein Ende finden. Er wollte in den Schatten, ins Auto und etwas
Ruhe haben, nicht länger hier auf dieser Felsplatte von Krämpfen geschüttelt
werden.
    Die nächste Welle der Kolik überkam ihn in einem Moment
der größten Kraftanstrengung. Der Strauch entglitt seinen Händen und die Kraft,
mit der sich gegen den Widerstand gestemmt hatte, warf ihn rücklings auf den
Felsen. Er fiel in der gebeugten Haltung, in der er gerade noch Pauline
gegenübergestanden hatte, nach hinten, ohne den Fall lenken oder mildern zu
können. Er schlug mit dem Steißbein auf dem Felsen auf. Der Schmerz durchzuckte
ihn ebenso unerträglich, wie es die Kolik getan hatte. Nur, das dieser Schmerz
sich nicht in Wellen durch seinen Unterleib verbreitete, sondern an einem Punkt
verblieb. Ein stechender, monströser Schmerz, der ihm jede Kontrollfähigkeit
nahm. Sein Körper wurde weiter vom Schwung des Sturzes nach hinten
katapultiert. Zunächst prallte der Oberkörper auf die steinerne Schräge, der
Kontakt währte den Bruchteil einer Sekunde, bis schließlich der Hinterkopf auf
dem Felsen aufschlug. Aus diesem neuen Schmerz heraus flammte vor seinen Augen
ein Kaleidoskop-artiges Farbenspiel auf und grelle Blitze durchzuckten den
letzten Moment seiner Wahrnehmung.
     

Dienstag, 24. August
Facetten von Grün
    Einzelne vertrocknete Blätter und unzählige tote
Insekten bedeckten das glatte Türkis als störende Sprenkel. Seit drei Tagen
hatte Alain den Pool nicht mehr mit dem Kescher von dieser Invasion befreit.
Das Ergebnis war erbärmlich. Einen Moment lang hatte Anselm mit der Idee
gespielt, vor seiner Abreise ins Wasser zu springen, sich dort gleiten zu
lassen und die bizarren Ereignisse noch einmal zu überdenken. Der Friedhof der
Käfer, Fliegen, Spinnen und Wespen hielt ihn nachdrücklich davon ab.
    Sein Gepäck stand bereits in der Eingangshalle, Sophie
las in der Küche in einer Illustrierten, darauf wartend, hinter ihm das Haus zu
verschließen, und Valerie war schon seit Stunden fort. Vidal stand neben ihm,
schweigend, steif und auf Distanz bedacht.
    „Weiß man schon genau, woran Engler gestorben ist?“,
fragte Anselm ohne Vidal anzusehen.
    „Abschließend ist das noch nicht entschieden, es wird
aber auf Schädelbruch hinauslaufen. Allerdings hatte er auch eine beindruckende
Vielfalt pflanzlicher Gifte im Blut, darunter sogar Aconitin. Das kommt nur im
Eisenhut vor, und der wächst eigentlich nur im Halbschatten, auf feuchten,
satten Böden, also nicht unbedingt in einer Gegend wie dem Karst. Das ist ja
beinahe Halbwüste da oben.“
    „Dann könnte man ja zynischerweise annehmen, dass er es
mit dem Grün der Provence übertrieben hat.“
    „Nachdem, was Alain und Pauline ausgesagt haben, wollte
er unbedingt auch Giftpflanzen haben, nicht nur die Grundstoffe für Le vert
de la Provence . Wer weiß, was er damit vorgehabt hat. Ich habe heute Morgen
gelesen, dass in China immer noch fleißig mit Pflanzengiften gemordet wird.
Jedes Jahr einige Dutzend Tote.“
    „Wie geht es den beiden?“
    „Die stehen noch unter Schock. Wir werden sie einige Tage
unter Bewachung im Krankenhaus behalten. Was danach wird, muss man sehen. Und
Madame Baumann? Hat sie ihr

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