Grün. Le vert de la Provence
Flöhen durchkämmte, die er genauso wenig zu erjagen vermochte wie die
Katze über sich. Allerdings schien er sich der Aussichtslosigkeit seines
Handelns nicht bewusst zu sein.
„Unklug, der Kläffer“, sinnierte Vidal.
Geduldig und vorausschauend erwog die Katze weiter ihre
Chancen und schoss in einem Moment der Unachtsamkeit ihres Gegners pfeilschnell
von ihrem Ast auf ihn herab. Die Krallen an allen vier Pfoten weit ausgestreckt
und einen langgezogen Kampfschrei ausstoßend, landete sie im Nacken des völlig
übertölpelten Hundes, riss in Bruchteilen von Sekunden tiefe, blutende Scharten
in sein Fell und sprang mit der gleichen überraschenden Zielstrebigkeit von
seinem Nacken herab und erreichte in zwei Sätzen die rettende Höhe einer
nahegelegenen Mauer. Der Hund stieß vor Schmerz gellende Schreie aus, wand sich
mehrfach um sich selbst und sank schließlich winselnd zu Boden, das Blut und
die herausgerissenen Büschel seines Fells leckend.
„Armes Vieh“, bedauerte Guillaume, der hinter Luc
getreten war und nun ebenfalls aus dem Fenster blickte.
„Er hat den Konflikt eröffnet“, entgegnet Luc lakonisch.
„Wusste er, was er tat?“
„Kaum. Das ist ja das Glück dieser Kreaturen. Sie sind
nicht zu wirklicher Bösartigkeit fähig. Ohne Absicht geht das nicht.“
Sie gingen zum Tisch zurück. Luc hatte eine Hand auf
Guillaumes Schulter gelegt. „Was gab es noch in der Zeit? Welche miesen
Vorfälle müssen wir gegebenenfalls in unsere Überlegungen einbeziehen?“
„Du fragst Dinge!“ Der Alte setzte sich mit einem tiefen
Seufzer wieder an seinen Platz und kritzelte erneut auf dem Papier vor sich.
Das schwache Kratzen seines Stiftes erzeugte ein seltsam dominantes Geräusch.
„Es gab da noch die dunkle Seite. Das bedrückende Kapitel der Ohnmacht, des
Wegschauens, der unheilvollen Teilnahme französischer Kreise.“
„Du sprichst jetzt vom Lager Les Milles und den
Judendeportationen?“
Einem langen Augenblick der Stille folgte schließlich ein
„Ja!“. Guillaume ließ noch einen Moment der Ruhe folgen, bis er zu erzählen
begann.
„Das Lager Les Milles war ja nur ein Gipfel des
Eisberges. Bereits einundvierzig verlangte die deutsche Besatzung, jeweils
tausend Juden für jedes Attentat der Résistance zu deportieren, anstelle der
bis dahin gängigen Geiselerschießungen nach Anschlägen.
Zweiundvierzig wurden von französischer Seite der
Judenstern und weitere Judengesetze eingeführt, noch bevor dies von den
Besatzern gefordert worden war. Und ab Juli des Jahres begann dann auch die
Deportation von Juden aus der Südzone in die Vernichtungslager. Der Nazijäger
Serge Klarsfeld schreibt von insgesamt fünfundsiebzigtausend Deportierten aus
Frankreich. Nicht einmal dreitausend dieser Menschen haben die Shoah überlebt.
Zunächst hatte die deutsche Militärverwaltung dabei von
Evakuierung in den Osten und von Arbeitseinsatz gesprochen. Aber nachdem auch
alte Menschen, Frauen und ab August zweiundvierzig sogar Kinder jeden Alters in
die Güterwagons verfrachtet wurden, war klar, dass es sich um eine
Vernichtungsaktion handelte.“
„Und wie hat die Bevölkerung darauf reagiert?“
„Nun, Klarsfeld drückt es sehr präzise aus: Die
Gesamtheit der französischen Bevölkerung hat ihr Mitgefühl mit den Juden unter
Beweis gestellt. Im entscheidenden Augenblick bot sie den Machthabern in Vichy
und damit eben auch den Deutschen die Stirn. Dreiviertel der Juden Frankreichs
waren bei der Befreiung neunzehnhundertvierundvierzig in Frankreich noch am
Leben. Dabei hatte sich die Besatzungsmacht an die Verabredung mit dem
Vichy-Regime, keine französischen Juden zu deportieren, zunehmend weniger
gehalten und ab Mitte dreiundvierzig überhaupt nicht mehr. Ab dem Zeitpunkt
begann dann ein Sonderkommando des Gestapomannes Alois Brunner eine regelrechte
Menschenjagd auch im Süden Frankreichs.“
„Brunner, das ist doch der Kerl, der nach dem Krieg
zunächst gedeckt worden war und dann in Syrien untergetaucht ist? Dieser
fanatische Judenhasser, der selbst in späteren Interviews seine Taten noch
glorifizierte?“
„Genau der. Es gab aber auch auf französischer Seite
Überzeugungstäter. Du erinnerst dich vielleicht an den Fall des Monsieur Paul.
Ein Nazikollaborateur und Zuarbeiter des Lyoner Gestapochefs Klaus Barbie. Der
agierte aus seiner Position im Geheimdienst bei der Milice française.“
„Paul Touvier, ja, ich erinnere mich, dass die Kollegen
den in den neunziger Jahren in einem
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