Grün. Le vert de la Provence
Augen.
„Sagst du das, weil du davon überzeugt bist, oder weil du
dich in mich zu verlieben beginnst?“
„Vielleicht beides.“
„Du solltest dich nicht in mich verlieben.“ Wieder begann
sie der Schleier von Traurigkeit zu überziehen und sie entschwand in ihren weit
entfernten Kosmos. „Die Nacht gestern war wunderschön. Wir haben uns spontan,
wild und leidenschaftlich geliebt. So etwas habe ich zuletzt als Jugendliche
erlebt. Es war fantastisch, aber wir waren betrunken und völlig aufgekratzt in
dieser exorbitanten Situation.“
Anselm zog die Augenbrauen in die Höhe, sagte aber
nichts. Minutenlang beobachtete er sie, verfolgte die Veränderung ihres
Gesichtsausdrucks. Sie starrte ins Leere. Schließlich winkte sie die Kellnerin
herbei, deren praller Bauch die letzten Tage einer Schwangerschaft verkündete.
„Whiskey!“, sagt Valerie tonlos. „Ein großes Glas. Ohne Eis.“
„Wir haben aber nur Scotch.“
Valerie nickte.
Anselm beobachtete sie stumm. Als der Scotch kam, trank
sie in einem langsamen, steten Schluck das Glas leer, danach holte sie tief
Luft.
„Ich habe sie erschossen!“
Wieder schwiegen beide.
„Ich wollte sie nicht erschießen. Ich kannte sie ja nicht
einmal. Aber sie stand da vor mir und wollte mich erpressen, wollte Geld und
fummelte mit dieser winzigen Pistole rum. Dann hab ich ihr die einfach
abgenommen. Ich dachte nicht einmal, dass das eine richtige Pistole sei. Ich
hab wie eine Oberlehrerin mit ihr gesprochen und gesagt, sie solle aufpassen,
was sie tut. Dabei bin ich an den Abzug gekommen. Ich habe zugesehen, wie
dieses winzige Loch in ihrer Stirn aufbrach, während sie mich noch ansah. Dann
fiel sie einfach um.“
„Ich brauche jetzt auch einen Whiskey!“, sagte Anselm. Er
stand auf, ging zur Bar und kam gleich darauf mit zwei vollen Gläsern und einer
Schachtel Gauloises zurück. Er riss die Packung mit zittrigen Fingern auf,
nestelte ungeschickt eine Zigarette heraus, inhalierte zweimal tief und trank
dann mit geschlossenen Augen einen großen Schluck. „Warum?“
Valerie schloss ebenfalls die Augen. „Eine lange
Geschichte.“
„Fang an!“
„Es war wegen Ed. Dass er sich immer weiter von mir
entfernte. Dass ich anfing, mir Sorgen um meine Zukunft zu machen. Ich habe das
einmal Christoph gegenüber erwähnt. In einem Telefonat. Er hat gesagt, dass ihn
die Veränderungen von Ed auch beunruhigen würden. Dass er sich etwas einfallen
lassen würde.
Kurz nachdem wir in diesem Sommer hier angekommen sind,
hat er mich angerufen und gesagt, er habe eine Lösung. Ich müsse Ed einmal in
flagranti erwischen. Möglichst mit Zeugen. Dann könnte ich ihn mit seinem
Verhalten konfrontieren, ihm Druck machen und ihn auffordern, zur Besinnung zu
kommen. ,Wie?‘, habe ich gefragt, und Chris sagte, er wüsste da jemanden.“
„Und dieser Jemand war das Mädchen?“
Valerie nickte. „Vor zwei Wochen hat Chris mir dann
eröffnet, ich solle für einige Tage nach Aix kommen und am Montag mittags
wieder in die Bastide zurückkehren. Ich sollte aber dafür Sorge tragen, dass
Alain auch da wäre und Ed mich an dem Tag nicht erwarten würde.“
„Das Ergebnis war dann nicht so überzeugend, wie ihr euch
das vorgestellt habt. Oder?“
„Ganz und gar nicht. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich
mich auf dieses blöde Spiel eingelassen habe.“ Sie tranken abwechselnd aus dem
dritten Glas.
„Und dann?“
„Sie rief mich an. Als ich beim Anwalt war, mitten in
einer Besprechung, völlig aufgekratzt, schnippisch und arrogant. Sie sei dafür
bezahlt worden, mit dem Kerl zu schlafen, sagte sie, und für Informationen, die
sie aus ihm herausholen sollte. Nicht dafür, dass er dabei stirbt. Sie sah
ihren Ruf ruiniert, befürchtete Ärger mit der Polizei und wollte Geld von mir.
Es war einfach lächerlich, sie wollte fünfzigtausend Euro dafür, dass sie
meinen Mann totgebumst hatte.
Wir haben uns dann bei ihrem Hotel verabredet. In der
Nähe der Autobahnauffahrt, an der Straße nach Carpentras. Von dort sind wir
losgefahren. Nur wenige hundert Meter. Ohne festes Ziel. Und sie hat weiter
rumgetönt. Dass sie uns auffliegen lassen würde, dass sie wüsste, was Ed
vorgehabt hätte und wir ihn alle beseitigen wollten. Ich hab versucht, ihr
diese Verschwörungstheorien auszureden und ihr gesagt, dass ich nicht so viel
Geld hätte.
Dann kam da dieser kleine Weg im Nirgendwo. Da war
rundherum nichts, keine Häuser, keine Industrie, keine Höfe. Wir sind
ausgestiegen und ich
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