Grün. Le vert de la Provence
allen
schon genug, dass ein Fremder dieses Mysterium kannte, weitere sollten es dann
doch nicht werden. Vielleicht war es manchen bereits etwas zu viel
Mitwisserschaft.“
„Jetzt bist du doch bei einer Verschwörungstheorie!“
„Keinesfalls. Solche Geheimniskrämerei gibt es sogar
unter Köchen. Nehmen wir einmal an, Paulines Kräuterwissen hat an irgendeiner
Stelle einen, sagen wir mal, mehr als folkloristischen Aspekt. Etwas, das über
das Angebotsniveau von Wochenmärkten hinausgeht. Und die Menschen hier in der
Region wollen unter allen Umständen vermeiden, dass dieses Wissen die Region
verlässt, dass es nicht mehr nur allein ihnen nutzt. Dann entsteht automatisch
ein Zusammenhalt und eine Abschottung nach außen, die in anderen Situationen
eher unpassend wirken würde. Schließlich leben hier die meisten vom
Fremdenverkehr und davon, dass ihnen Leute aus dem restlichen Frankreich, aus
England, Belgien, den Niederlanden und Deutschland oder sogar Russen die
verfallenen Hütten abkaufen, die sich über Generationen in ihren Familien
angesammelt haben.“
„Und was sollte das sein? Ein geheimes Kraut gegen
Krankheiten, Falten oder Haarausfall?“
„Wenn ich Eds besondere Vorlieben in diese Überlegungen
mit einbeziehe, könnte man etwas anderes vermuten.“
„Sex?“
„Sex! Ein Jungbrunnen für seine Libido. Das, was Viagra
und Levitra vermögen, auf Kräuterbasis. Anstelle von Spanischer Fliege, dem
Pulver aus Walfischen, Nashorn und Elefantenstoßzähnen und sonstigen
Fantasiewirkstoffen, Kräuter aus der Provence! Das wäre in der Tat ein echter
Knüller und die Provenzalen täten dann tatsächlich gut daran, dieses Wissen in
der Region zu belassen. Es könnten sonst Busladungen sexbesessener Japaner in
die Macchia einfallen und jeden Strauch herausreißen.“
„Und du meinst, deswegen übten sich Alain und Sophie im
großen Schweigen?“
„Es ist ja nicht bei dem Schweigen der beiden geblieben.
Es hat in dem Kontext immerhin zwei sehr konkrete Morde gegeben.“
„Und nach deiner Hypothese ist Melissa Lindner beauftragt
worden, bei Ed hinter diese Mauer des Schweigen zu schauen oder ihn sogar zu
töten?“
„Richtig! Wobei Kommissar Vidal mutmaßen könnte, dass du
das beauftragt hast.“
„Stimmt, aber das hätte ich noch allein hingekriegt. Ohne
eine Blondine. Du warst schließlich auch ziemlich fertig. Außerdem habe ich
nicht den Rottweiler gekillt. Das steht absolut außer Frage!“
„Also Engler?“
„Warum nicht Engler! Du hast diesen Gedanken
aufgeworfen.“
„Dann ist Paulines Wissen das Motiv?“
„Frag mich was Leichteres!“ Valerie drehte sich um und
stützte die Arme auf der Mauer ab. Sie betrachtete lange den Garten. Dann sah
sie gedankenverloren auf den Höhenzug des Luberon-Gebirges, dessen Konturen
sich in der Ferne in einer milchigen Unschärfe verloren. „Wenn ich alles noch
einmal richtig überdenke, ist Engler im Frühjahr vermutlich eine ganze Woche
hier in der Provence gewesen. Mir ist das zu der Zeit gar nicht so bewusst
geworden. Er ist mir nur ein einziges Mal kurz in der Bastide begegnet. Aber in
der Woche hat Ed mehrfach mit ihm telefoniert, ohne dass ich aus seinen Worten
etwas Konkretes heraushören konnte. Im Nachhinein glaube ich aber, dass Engler
bei diesen Telefonaten noch in der Provence war.“
„Er hätte also sehr gut mit Pauline zusammentreffen
können?“
„Vermutlich! Ed wird mit ihm nicht nur
Besichtigungstouren gemacht haben. Und immer, wenn Engler auftauchte, ging es
um geschäftliche Belange. Vielleicht gehört Pauline tatsächlich in diese
Kategorie hinein.“
„In die Kategorie geschäftlicher Belange?“
„Wäre das auszuschließen?“
„Wenn sie das pflanzliche Pendant zu gemahlenem
Nashorn-Horn liefern könnte, vermutlich nicht. Und damit käme dann auch
Christoph Seefelder ins Spiel. Die Verwertung pflanzlicher Ressourcen ist die
Grundlage seiner geschäftlichen Aktivitäten. Vielleicht gab es zwischen Ed,
Seefelder und Engler so etwas wie eine gemeinsame Interessensbasis.“
„Dann hätten wir ein Trio-Infernal zusammen.“
„Ich denke, eher die Jäger des verlorenen Schatzes!“
Valerie blickte Anselm erstaunt an. Sie grinste kurz. „Du
kannst ja manchmal sogar witzig sein!“
Anselm zuckte mit den Schultern. „Wenn man den Gedanken
weiterspinnt, hatte Ed möglicherweise ab einem gewissen Zeitpunkt den anderen
beiden etwas voraus. Einen Wissensvorsprung oder eine Handlungsoption,
irgendetwas, was den beiden
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