Grün. Le vert de la Provence
Medizinfläschchen seiner Kindheit, an die beruhigende Wirkung, die von
der Abgabe dieser Medizin auf einem Löffel ausging, der oft mit Zucker gefüllt
gewesen war, um den bitteren Geschmack zu übertönen. Es erinnerte ihn an seine
Großmutter, an Tage, die er im Bett verbringen musste, während die Freunde
durch das Dorf tobten. Tage, die zumindest den Nebeneffekt hatten, dass er der
Schule fernbleiben durfte, um unter der Obhut der Großmutter wieder gesund zu
werden.
Le vert de la Provence stand in geschwungenen
Lettern auf dem Papieretikett mit Pflanzenmotiven. „Eines der letzten
Fläschchen“, sagte Gauthier, „aus dem Bestand des Apothekers.“ Vidal folgte
Gauthiers Blick zu dem Mann. Er nickte kurz und ging zu ihm hinüber. „Es war
fatal, dass hier das halbe Dorf bemüht war, Pauline Bouchet vor uns zu
verstecken. Drei Menschen sind bereits gestorben. Beten Sie, dass wir Alain und
Pauline finden, bevor sie die nächsten Opfer sind. Wie können erwachsene Menschen
nur auf solch einen Unsinn verfallen?“
„Wir haben befürchtet, dass Monsieur Baumann gestorben
ist, nachdem er Le vert de la Provence genommen hatte. Wir wollten
Pauline beschützen. Sie sollte nicht plötzlich in den Verdacht geraten,
gefährliche Substanzen zusammenzumischen.“
Vidal zog die Augenbrauen zusammen. „Baumann hat nicht Le
vert de la Provence zu sich genommen. Er starb einzig und allein aus
fahrlässiger Selbstüberschätzung. Wenn jemand auf den Turm der Kathedrale
steigt und hinabspringt, ist auch nicht die Kathedrale Schuld an seinem Tod!“
Der Apotheker machte eine vage Geste, schwieg einen Moment und hob dann wieder
selbstbewusst den Kopf. „Wir werden Ihnen helfen, die beiden zu finden. Sagen
Sie uns, wo sie unsere Hilfe brauchen können.“
„Sagen Sie uns einfach, was Sie wissen und lassen Sie uns
unsere Arbeit machen. Das wäre schon eine Hilfe.“ Er drehte sich um, als er
bemerkte, dass die Dorfbewohner im Raum zum Hoteleingang blickten.
Valerie Baumann stand vor der Tür. Rauchend. Anselm
Bernhard stand neben ihr. Er machte einen unbeteiligten Eindruck, beobachtete
etwas in den oberen Etagen der Häuser auf der anderen Seite des kleinen
Platzes. Auch Vidals Kollegen, die beide begleiteten, rauchten. Sie
unterhielten sich mit Valerie Baumann. Vidal spürte, wie sein Adrenalinspiegel
anstieg und er tiefer atmete. Er gab Gauthier mit einem leichten Heben des
Kopfes ein Zeichen. Der nickte zurück und ging zur Tür. Vidal beobachtete, wie
draußen hektisch die Zigaretten ausgemacht wurden und die Gruppe in das Hotel
kam. Sie blieben unschlüssig nach einigen Schritten in dem Restaurant stehen.
Valerie Baumann grüßte stumm die anderen Wartenden im
Raum. Auch Bernhard schien einige von ihnen zu kennen und nickte mehrmals.
Einmal lächelte er herzlich dabei. Vidal konnte nicht sehen, wen er dabei
ansah, vermutete aber, dass es die Haushälterin war.
„In einer Sache könnten Sie uns vielleicht noch eine
Information geben“, sagte Vidal, der sich wieder dem Apotheker zugewendet
hatte. „Wir haben herausgefunden, dass sich der verstorbene Monsieur Baumann
sehr intensiv mit den Ereignissen vom Sommer vierundvierzig beschäftigt hat.
Und das bis zu seinem Tod. Er hat recherchiert, Literatur gesammelt, Zeitzeugen
gesucht. Könnte es etwas in der Geschichte dieses Ortes gegeben haben, das ihn
dazu veranlasst hat? Ich meine, zum Beispiel bestimmte Ereignisse oder
Personen?“
Vidal registrierte, dass der Mann kurz über die Frage
irritiert schien, bevor er unvermittelt den Kopf hob und sich streckte. Er
hatte einen stolzen Gesichtsausdruck angenommen. „Von Monsieur Baumanns
Recherchen weiß ich nichts. Aber genau in diesem Hotel wurde die lokale
Widerstandsgruppe gegründet. Das war neunzehnhunderteinundvierzig, also schon
bevor die Deutschen das freie Frankreich besetzt haben“, berichtete er. „Dort
vorne an der Bar war das. Man erzählt sich, dass ein Pariser Jude, der als
Flüchtling hier in der Gegend lebte und ein ehemaliger Steuereinnehmer dieses
Ortes an dem Tresen den Anstoß für den lokalen Maquis gegeben haben. In
kürzester Zeit wurde die Gruppe dann von vielen aus der Region hier
unterstützt. Später kamen dann noch einige Flüchtlinge aus Elsass-Lothringen
dazu. Das war so im Winter zweiundvierzig dreiundvierzig.“
„Und gab es Berührungspunkte mit den Deutschen?“
„Natürlich. Die Gruppe hat sehr erfolgreich agiert, was
die Deutschen mit ziemlicher Brutalität quittierten. Es hat
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