Grün. Le vert de la Provence
herabrannen.
„Ich wollte Eds Tochter sprechen. Sie hatten im Fernsehen
von der Toten am Pass berichtet und mich überkam spontan die Sorge, es könnte
Nora sein.“
„Die ich dann erschossen hätte?“
„So in etwa. Aber es war ja nicht Nora, sondern Melissa
Lindner, die man gefunden hat. Erschossen hast du sie aber dennoch.“
„Es war ein Unfall!“ Valerie sprang von der Mauer herab
und ging einige Schritte von Anselm fort. „Du glaubst mir nicht. Gib es zu!“,
sagte sie, ohne sich umzudrehen.
„Ich kann mir dich nicht als eiskalte Mörderin
vorstellen. Du hast mir gesagt, es war ein Unfall, und ich habe keine
Veranlassung, daran zu zweifeln. Aber bei entsprechender emotionaler Erregung
könnte vermutlich jeder töten. Man sollte nie glauben, unfehlbar zu sein.“
Valerie kam zurück zur Mauer und lehnte sich dort an,
ohne Anselm anzusehen. Die umliegenden Gärten entbanden ein Meer der Düfte, das
der sanfte Wind in beständig wechselnden Nuancen verbreitete. Es herrschte eine
friedvolle Ruhe auf dem Gelände, lediglich an dem Schattenplatz der
polizeilichen Verhöre tummelten sich Menschen. Schwache Gesprächsfetzen drangen
dumpf zu ihnen herüber.
„Ich kenne diese Pauline zwar nicht, aber für eine
Pflanzenliebhaberin muss das hier geradezu das Paradies sein“, versuchte Anselm
das Gespräch auf ein unverfänglicheres Thema zu lenken.
„Es ist ein Paradies, ein magischer Ort!“, entgegnete
Valerie.
„Du kennst das hier?“
„Ed ist mit mir mehrfach hierher gefahren. Er war
vernarrt in diese Anlage. Ich war erstaunt über sein botanisches Wissen. Er hat
mir nahezu jede der historischen Pflanzen erklärt, die da drüben in dem Jardin
médiéval wächst. Inzwischen ist mir klar, woher er sein Wissen
hatte.“
„Es gibt also einen Zusammenhang zwischen diesem Kloster,
Pauline und Ed? Meinst du das?“
„Ich glaube, das Kloster spielt weniger eine Rolle. Es
waren die Pflanzen, die ihn hier fasziniert haben. Pflanzen, die er so sonst an
keinem anderen Ort vorfinden konnte.“
„Und Pauline? Sie hat dies immerhin als ihren Rückzugsort
gewählt, als sie ihren Hof heimlich verlassen hat. Es muss für sie also ein
weiterer Bezug zu diesem Ort bestehen. Sie muss ja auch irgendwo in der
Umgebung gewohnt haben, muss Vertraute gehabt haben, ein Versteck, eine
Möglichkeit, hier unterzutauchen. Ich meine, nicht nur eine räumliche, sondern
auch eine finanzielle Basis. Und Alain hat davon gewusst! Er hat vor uns eine
große Schau abgezogen. Da gab es von Anfang an eine geheimnisvolle Beziehung
zwischen Pauline und ihm. Und vermutlich auch zwischen Sophie und Pauline. Ich
habe die ganze Zeit über schon vermutet, dass in eurem Dorf alle unter einer
Decke stecken und keiner sich etwas anmerken lässt.“
„Wir werden immer außen vor bleiben! In gewisser Hinsicht
gibt es eine Mauer des Schweigens. Aber ich vertraue Sophie, warum sollte sie
mich hintergehen?“
„Alain hat dir auch nicht die Wahrheit gesagt. Er hat für
dich zwar die Leiche aus dem Weg geschafft, aber nie auch nur ein
Sterbenswörtchen über Pauline geäußert. Und er muss schließlich gewusst haben,
was zwischen Ed und ihr lief. Die Informationen, die ich für dich beschaffen
sollte, hätte er dir schon vor Wochen liefern können. Aber er hat geschwiegen.
Warum? Nur aus dem Gemeinschaftsgeist der Provenzalen heraus? Eine geschlossene
Gesellschaft? Eine Frage der Ehre?“
Valerie fixierte stumm die Klostermauern, deren
merkwürdige Vorsprünge und Richtungswechsel eine beständige Erweiterung der
Gebäude erahnen ließen. „Konstruierst du da eine Verschwörung?“, fragte sie
schließlich.
„Kaum. Mir sind Verschwörungstheorien suspekt. Ich glaube
vielmehr, dass es ein gesundes Misstrauen der Autochthonen gegenüber allen
Fremden und vor allem gegenüber Deutschen gibt. Vermutlich ist dies
verständlich, es ist grade mal zwei Generationen her, dass wir hier einen
denkbar beschissenen Eindruck hinterlassen haben. Aber du bist Französin und
trotzdem bist auch du durch diese Mauer des Schweigens ausgeschlossen worden.
Niemand hat dir von Pauline erzählt.
Wenn nicht der Käsehändler auf ihrem Hof garottiert
worden wäre, hätten wir vermutlich niemals ihren Namen erfahren. Da stinkt
etwas zum Himmel. Es muss einen ganz handfesten Grund dafür geben, dass Pauline
von allen Einheimischen gedeckt wird. Etwas, das Ed vielleicht gekannt hat und
das sein merkwürdiges Gebaren verständlicher macht. Aber es war offenbar
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