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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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vollführt eine beschönigende Geste und bewegt sich wie aus eigenem Antrieb, nicht um Cäsar zu rühmen, sondern um ihn zu begraben. »Sie ist tot, reicht das denn nicht? Was willst du – sie in eine Art Jeanne d’Arc verwandeln? Geh mal vor die Tür. Sieh dich draußen um. Wozu soll diese Scheiße gut sein?«
    Andrea ist eine große Frau, immer noch – in den Schultern, den langen Beinen, die jetzt unter dem Rock eingezogen sind, die Hände –, jetzt aber macht sie sich klein. Sie ist ein obdachloses Kind. Sie ist ausgenützt worden. Sie ist eine Bedrohung, und auf den Gedanken ist nicht sie verfallen, sondern April Wind, die Frau, die mit den Bäumen redet. »Ich finde es eine gute Idee«, sagt sie. »Für die Nachwelt.«
    »Welche Nachwelt?« Ich breite die Arme weit aus. »Das hier ist deine Nachwelt.«
    »Komm doch, Ty – tu’s für Sierra. Laß dich interviewen von der Frau, erzähl ihr deine Geschichte – was macht das schon?«
    Alles zieht sich zusammen und drängt in die Leere in meinem Inneren, der Wind flaut ab, als hätte sich ein Taktstock gesenkt, auch der Regen nimmt eine Auszeit, und der Mop an der Tür gewinnt endlich die Oberhand. Andrea ist ebenfalls aufgestanden, wir sind ein perfekt zueinander passendes Zweiergespann von Jungalten, so jugendlich-verjüngt wie diese Paare, die man in New York oder Paris oder in der Fernsehwerbung für Transplantate sieht, über den Tisch gebeugt, als wollten wir unvermittelt in einer komplizierten Choreographie durch den Saal fegen. »Und was hast du davon? Finderlohn?«
    Keine Reaktion.
    »Übrigens, wie hast du mich eigentlich aufgespürt?«
    In ihrem Lächeln liegt keine Bosheit – eine Spur von Selbstgefälligkeit vielleicht, aber keine Bosheit. Sie hebt die Finger in die Höhe, alle zehn auf einmal. »Übers Internet. Such nach Maclovio Pulchris, und du wärst erstaunt, wieviel sich da findet – und was ich davon habe? Das ist leicht beantwortet: dich. Um dich geht es mir doch.«
    Ich bin gerührt, das läßt sich nicht verleugnen. Mit nach Hause nehmen werde sie ich nicht, niemals, egal, was passiert. Aber ich grinse – ein so klebriges Grinsen, daß man darauf tapezieren könnte. »Sollen wir in ein Motel gehen?«
    »Das mußt du aber nicht tun.«
    Ich grinse immer noch, stelle meine Dentalkorrekturen zur Schau, von Sakedämpfen anästhesiertes Zahnfleisch und die brennenden Augen hinter den beiden Brillengläsern. »Aber ich will es.«
    Der Wind kehrt für eine Zugabe zurück. Musikfetzen wehen von der Bar herüber. Alles lärmt, die ganze Welt, Krach und noch mehr Krach. »Ich werde nicht lange bleiben«, sagt sie. »Und ich werde dir mit den Tieren helfen. Du weißt ja, wie sehr ich Tiere mag...«

Teil 1
Bring sie lebend zurück!

Siskiyou Forest, Juli 1989

    So fängt es an, in einer Sommernacht, die so vollgestopft ist mit Sternen, daß die Milchstraße aussieht wie eine weiße Plastiktüte, aufgehängt im Dach des Himmels. Kein Mond allerdings – der hätte nur gestört. Und kein Geräusch bis auf das unregelmäßige Plätschern von Wasser, gedämpfte Schritte von billigen Turnschuhen auf dem gespenstischen Band der Straße, der verhaltene Applaus der Grillen. Es ist eigentlich nur eine Forststraße, ein Schotterweg, und Tyrone Tierwater würde dazu auch nicht Straße sagen wollen. Er nennt es eine Narbe, eine Verletzung, eine offene Wunde im Leib des Waldes. Aber bezeichnen wir es der Einfachheit halber als Straße. Tagsüber donnern darüber Lastwagen, riesige D7-Planierraupen, Ladeschlepper und Shredder. Es ist eine Straße. Und er geht auf ihr.
    Er bewegt sich ziel- und zweckgerichtet, nahezu unsichtbar im Abgrund der Schatten unter den großen Douglastannen. Wer gut an die Dunkelheit angepaßt ist und scharf genug hinsieht, der würde auch seine drei Gefährten erkennen, um die sich die Nacht ein klein wenig neu verteilt, wenn sie vorbeikommen: mal sieht man sie, mal wieder nicht. Alle vier haben das gleiche an: billige, mit Schuhcreme geschwärzte Tennisschuhe, zwei Paar Socken, schwarze T- und Sweat-Shirts drüber, und natürlich die schwarzen Strickmützen. Wo wären sie ohne die?
    Tierwater hatte noch weiter gehen wollen, das volle Programm, dunkle Fettschminke auf dem Nasenrücken und ein paar Streifen über die Backenknochen – oder noch besser: das Gesicht ganz schwärzen –, aber das hat ihm Andrea ausgeredet. Sie kann ihm alles ausreden, weil sie vernunftbetonter ist als er und aggressiver, weil sie sprachlich einfach mehr

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