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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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tollen Minstrel-Show mitgespielt‹?« Sie war die Erfahrenste – im Demonstrieren, Protestieren, Organisieren –, und sie steckte keinen Millimeter zurück. »Weißt du«, sagte sie und fuhr sich mit dem Finger unter den Rand der Mütze, »dein Problem ist einfach, daß du zu viele Filme gesehen hast.«
    Möglich. Dennoch ist dieser Kommentar nicht wirklich relevant, nicht jetzt und nicht hier. Dies ist die Wildnis, oder was davon übrig ist. Die Nacht ist tief, die Straße unwegsam, die Sterne nur schwache Erinnerungen an die Geburt des Universums. Für jeden lebenden Menschen gibt es da draußen neun Galaxien, jede davon mit rund einhundert Milliarden Sonnen, und trotzdem sieht er kaum die Hand vor Augen, tappt wie ein Schlafwandler dahin, immer einen Fuß vor den anderen. Das hier ist verrückt, denkt er sich, es bringt garantiert Ärger, so als würde man in einer Höhle herumstolpern, in der gleich der Boden einkracht. Er fragt sich, ob die anderen sich auch so mies fühlen, denkt kurz an Vitamin-A-Tabletten und Nachtsichtbrillen, als irgendwo vor ihnen eine Eule ruft, ein einzelner zitternder Schrei, der besagt, daß sie gerade etwas in den Klauen erwürgt.
    Seine Tochter, die sich nur durch das rhythmische Manschen ihres Kaugummis bemerkbar macht, fragt in dramatischem Flüsterton, ob das vielleicht ein Fleckenkauz ist. »Ich meine, das wäre doch irre, oder?«
    Er kann ihr Gesicht nicht sehen, die Nacht ist wie eine zu weite Jacke, im Geist ist er bereits viele Kilometer weiter, und er antwortet, ohne nachzudenken: »Schön wär’s.«
    Unmittelbar neben ihm, aus der Leere zu seiner Linken, mischt sich eine weitere Stimme ein, die von Andrea, seiner zweiten Frau, der Frau, die nicht Sierras leibliche Mutter ist und daher in allen Streitigkeiten, Reibereien, Mißverständnissen, Tatsachenverdrehungen und fehlgeschlagenen Abenteuern problemlos die Rolle ihrer Anwältin übernehmen kann. »Jetzt laß bloß das Mädchen in Ruhe, Ty.« Und dann, mit Flüstern so sanft wie eine Feder, die durch die Dunkelheit schwebt: »Aber sicher, Liebes, das ist ein Fleckenkauz, das hört man sofort.«
    Tierwater geht weiter, den feuchten Duft des aktiven nächtlichen Waldes in der Nase, den Geschmack danach auf der Zunge – Moder im Übergang zu einem anderen Element: transsubstantiierter Moder –, aber er ist mit einemmal sauer. Die Sache gefällt ihm nicht. Gefällt ihm ganz und gar nicht. Er weiß, daß es notwendig ist, er weiß, daß die Wälder geschändet werden, daß die Erde bis auf den letzten Zweig abgeholzt wird und daß irgend jemand sie retten muß, dennoch gefällt es ihm nicht. Die zitternde Stimme verrät seine Anspannung. »Jetzt halt aber den Mund, ja? Wir wollen hier unauffällig bleiben – was wir tun, ist gegen das Gesetz, hast du das vergessen? Verdammt, man könnte meinen, wir wären auf einem Naturlehrpfad oder so: Hier hätten wir also den Herrn Specht und dort den großen Baumfarn. «
    Ernüchterte Stille, in die die Grillen ihre ganze Geradflüglerfurchtsamkeit ergießen, aber sie hält natürlich nicht an. Eine weitere Stimme mengt sich dazu, ein Kratzen des Kehlkopfs in dem schwarzen Loch zu seiner Rechten. Das ist Teo, Teo Van Sparks, alias der »Leberkopf«. Vor acht Jahren hat er sich in Hollywood auf dem Rodeo Drive vor Sterlings Pelzwarenboutique aufgestellt, eine Scheibe Kalbsleber mit Fäden auf den kahlgeschorenen Kopf geheftet. Er ließ die Leber verwesen – drei, vier Tage, Fliegen darauf wie eine Dornenkrone, die Maden krochen ihm schon die Nase hinunter –, dann riß er sie sich vom Kopf, um sie einer silberhaarigen Vettel im Chinchilla vor die Füße zu knallen oder einem Filmsternchen, das im Blaufuchs durch die Tür stolzierte. Und am nächsten Tag war er wieder zurück, mit einem neuen Stück Fleisch. Inzwischen ist er einunddreißig und eine große Nummer im Getriebe von Earth Forever! (auf seiner Visitenkarte steht Öko-Agitator ), Gewichtheber mit Bizeps, Trizeps, Brust- und Rückenmuskulatur zum Herzeigen, und es gibt nichts über die Natur, was er nicht weiß. Jedenfalls würde er es nie zugeben. »Tut mir leid, Mädels«, sagt er, »aber nach den meisten Schätzungen gibt’s nicht mal mehr fünfhundert brütende Fleckenkauzpaare in der gesamten Küstenregion von British Columbia bis runter zur südlichen Sierra, deshalb bezweifle ich...«
    »Weniger«, korrigiert Andrea ihn auf ihre pedantische Art. Sie hat heute nacht das Kommando, und sie wird sie alle

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