Grün war die Hoffnung
bin als im Kopf.
Ihre Lippen, ich betrachte ihre Lippen – mir wird klar, daß das Kollagenimplantate sind, und ihr Gesicht ist zu strahlend und zu perfekt, um natürlich zu sein, aber wer will in meinem Alter schon Natur? »Du erinnerst dich an sie«, beharrt sie und stochert geistesabwesend mit ihren Stäbchen im Essen herum (sie hat pikante Welsrolle, Tilapia-Sushi, geräucherten Sonnenfisch und koi sashimi bestellt, eine gute Wahl – jedenfalls die beste, die es hier gibt. Und es wird nicht billig werden, aber da ich Andrea kenne, habe ich eine frische Fünfhundertdollarkarte eingesteckt). »Das war die, die damals auch aus Teos Actioncamp zu uns gestoßen ist? Echt klein, sie kann kaum mehr als fünfundvierzig Kilo gewogen haben. Asiatin. Oder Halbasiatin? Hat geschworen, daß die Bäume mit ihr reden, weißt du nicht mehr?«
Langsam erinnere ich mich, aber das will ich gar nicht. Und der Name Teo rammt mir ein glühendes Eisen in die Gedärme, wo er den wasabe in Brand setzt, der dort in einem Fischsud aus Karpfenrogen und halbverdautem Tilapia herumschwappt. »Was ist mit Teo?« frage ich, gerade als der Wind so wuchtig losbläst, daß es den Laden schüttelt, als wäre er aus Stroh.
»Ich hasse das«, zischt sie und wappnet sich gegen die nächste Bö. Wir hören, wie etwas losgerissen wird, dann rasselt irgendein wesentliches Teil des Daches über die Schindeln, zerrt kurz über uns an den stählernen Trossen, bevor es in die Nacht davonsaust. Von herumfliegendem Dachmaterial sind schon Leute geköpft worden, zermalmt, erschlagen, gepfählt – so was hört man täglich in den Nachrichten. Eine Frau in der Apartmentsiedlung Lupine Hill brachte letztes Jahr gerade den Abfall raus, als eine Fahnenstange aus dem Himmel geflogen kam wie ein Wurfspeer und sie an den Müllcontainer nagelte, so daß sie aussah wie ein Insekt auf dem Präparierbrett. Außerdem grassieren Augen- und Lungenschäden wegen der vielen Partikel in der Luft, gar nicht zu reden von Allergien, die man vor zwanzig Jahren noch nicht mal vom Hörensagen kannte. Während der trockenen Jahreszeit, wenn die Luft nur eine Sonderform von Staub ist, tragen viele Leute – mich eingeschlossen – Schutzbrille und Gazemasken. Aber was soll ich dazu sagen? Ich hab’s ja kommen sehen?
Das ist die Welt, die wir geschaffen haben.Und jetzt leben wir auch drin.
»Man gewöhnt sich dran«, sage ich achselzuckend. »Aber in Arizona habt ihr ja auch Probleme – da wohnt ihr doch jetzt, oder?«
Sie nickt, ein knappes, ökonomisches Senken des Kinns, das mir sagen will: Frag nicht weiter.
»Und Teo?« beharre ich und versuche, es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen, obwohl es mich innerlich halb auffrißt und ich am liebsten mit einer Flasche Magenschutz zu Hause vor der Glotze säße, wo mich die Löwen in den Schlaf husten würden. »Ist er noch auf der Bildfläche, oder was?«
Genau in diesem Moment merke ich, daß meine Füße naß werden, und als ich erst den einen, dann den anderen hochhebe, reagiert der Teppich wie ein Schwamm. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine von Shiggys Töchtern an der Hintertür mit einem Mop und einem Berg von Servietten herumhantiert, hektische Geschäftigkeit, die jedoch nicht genügt, um den Wasserfluß einzudämmen, der unerbittlich in den Raum strömt. Shiggy hätte auf Pfählen bauen sollen, und das weiß er, aber er hat den Laden von seinem Vater geerbt, der hier vierzig Jahre lang ein erfolgreiches Smorgasbord-Bistro geführt hat, und die Kosten für das Anheben des Gebäudes wären astronomisch gewesen. Und wie alle anderen auch wartete Shiggy darauf, daß das Wetter wieder besser würde. »Kein Problem, Sir, kein Problem«, versichert Shiggys Tochter gerade einem allein sitzenden Gast in der Ecke, »das haben wir gleich aufgewischt.«
Solcherart abgelenkt – meine Stiefel sind garantiert hin –, ist mir die Frage entfallen, die ich in der feuchten Luft dieser Kneipe habe hängenlassen, ich habe vergessen, wo ich bin oder warum oder sogar, wer ich bin, einer dieser kleinen Aussetzer, die in meinem Alter das Leben erträglich machen, trotz Gingko biloba, Koffein und allen nervenstärkenden Mitteln. Volle zehn Sekunden lang habe ich so meinen Bauch vom Hirn abgetrennt. »Er ist tot«, sagt Andrea in die Stille hinein.
»Wer?«
»Teo.«
Tot? Teo tot? Da bin ich sofort zurück in der Gegenwart, so wach wie Lily, wenn sie sieht, wie ich in der großen fettigen Tüte nach dem nächsten
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