Grün war die Hoffnung
Hühnerrücken greife. Allmählich gefällt mir die Sache. Auf einmal fühle ich mich phantastisch. Ich möchte Einzelheiten: Hat er gelitten? War es ein langsamer Tod? Hatte er am Ende noch seinen Darm, seinen Pimmel, sein Hirn unter Kontrolle? »Ich dachte, dafür braucht’s ne silberne Kugel«, hörte ich mich sagen. »Oder einen Pfahl ins Herz.«
Sie senkt den Blick, der Vorhang fällt, die Jalousien gehen runter. Sehr leise jetzt: »Es ging schnell.«
»Wie schnell?«
Brr , grollt der Wind, brr, brr, brr , und jetzt tropft das Wasser stetig – Teos Geist, sein aalglatter, wäßriger Puls –, es prasselt nur so auf den Tisch herab, gleich links neben meinen Stäbchen. Ich mustere sie, genieße diese Enthüllung, aber der Rücken tut mir weh – er tut schon immer und für immer weh, das geht so, seit ich Mitte Dreißig bin –, und für die Arthritis in meinem rechten Fuß ist der nasse Boden auch nicht gesund. Außerdem habe ich einen voreiligen Ständer. Ich widerstehe der Versuchung, rasch auf die Uhr zu sehen. »Wie schnell?« wiederhole ich.
»Ich möchte nicht darüber sprechen«, sagt sie, »weil ich nicht deswegen – das wollte ich nicht mit dir... also, es war ein Meteor, okay?«
Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Laut und schallend explodiert es von meinen unbeherrschten Lippen und läßt ein Pärchen zwei Tische weiter zusammenzucken. »Du nimmst mich auf den Arm?«
»Elfeinhalb Milliarden Menschen leben auf der Erde, Ty, davon sechzig Millionen hier in Kalifornien. Meteoriten schlagen auf der Erde ein, ja? Irgendwo müssen sie schließlich landen.«
»Du meinst, er ist echt von so einem Ding getroffen worden? Wie groß? Und wann? Wann ist das passiert – vor zehn Jahren oder gestern, oder was?«
»Ich will dich nicht anlügen, Ty: ich hab ihn geliebt. Jedenfalls dachte ich das.«
»Tja, und du dachtest auch, daß du mich liebst. Hat mir ne Menge genützt.«
»Hör zu, ich will das alles nicht wieder aufwärmen, ja? Deshalb bin ich nicht...«
»Wie war es, ist er wie von einer Kugel durchbohrt worden? Einschlag durchs Dach?«
»Er kochte sich gerade ein weiches Ei. In der Küche. Er lebte in einer dieser Wohngemeinschaften für Leute wie mich, die nie was für die Rente gespart haben – und frag bloß nicht, denn ich werde kein Wort sagen über meine momentanen Lebensumstände, also laß es.« Sie betupfte sich mit der Serviette die Lippen und nahm einen kummervollen Schluck des leicht fettigen Sake, immerhin der beste des Hauses. (Hab ich erwähnt, daß Weintrauben der Vergangenheit angehören? Napa und Sonoma Valley sind inzwischen Reisfelder, die Winzergebiete von Loire und Rhein sind so naß, daß man dort wohl besser Ananas pflanzen sollte – die gute Nachricht ist wiederum, daß die Norweger angeblich kalifornische Reben in den Vororten von Oslo anbauen.)
»Er hat gar nicht gemerkt, was ihn da traf«, sagt sie gerade und jagt mich mit den Augen. »Sein Sohn hat mir erzählt, daß sie das Ding – es war so groß wie ein Golfball – dann im Beton des Kellers fanden, es qualmte noch.«
Ich staune. Da sitze ich bei Sake und einem Teller mit kaltem Fisch und habe dieses Bild im Kopf – ein weichgekochtes Ei! Die Welt ist schon ein einsamer Ort.
»Ty?«
Ich blicke auf und schüttle immer noch den Kopf. »Willst du noch was trinken?«
»Nein, nein – hör zu. Weshalb ich hier bin: ich möchte dir was über April Wind erzählen...«
Ich tue mein Bestes, um ein wenig verletzt und verblüfft dreinzublicken, obwohl ich weder verletzt noch verblüfft bin, nicht allzusehr jedenfalls. »Ich dachte, du wolltest mich aus Liebe sehen – hast du das nicht gesagt? Korrigier mich, wenn ich mich irre, aber ich hatte den Eindruck, daß du wieder, na ja, mit mir zusammen...«
»Nein«, sagt sie. »Oder ja, doch, das will ich. Aber was mich wirklich hierherbringt, der Grund, weshalb ich dich treffen wollte, das ist April Wind. Sie möchte ein Buch schreiben. Über Sierra.«
Ich werde nicht mehr so leicht wütend, hat ja keinen Sinn. Aber bei allem, was ich durchgestanden habe – nicht nur damals, sondern auch heute, und wer wird wohl nachher dem Patagonischen Fuchs und den behäbigen fetten Pangolinen hinterherjagen, auf Füßen, die sich anfühlen wie Zementblöcke? –, kann ich nicht anders. »Ich will nichts davon hören«, sage ich und stehe auf, der Teppich quietscht unter meinen Sohlen, das ganze Haus vibriert beim Ansturm der nächsten Bö. Mein Arm, mein rechter Arm
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