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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zurechtweisen, selbst wenn es um Kleinigkeiten der Grammatik und des Sprachgebrauchs geht. Wenn sie ihre Befehle einfach nur methodisch und leidenschaftslos erteilte, das ginge ja noch – aber sie ist so herablassend, so selbstzufrieden, anmaßend und rechthaberisch. Er weiß nicht, ob er das aushält. Nicht heute nacht.
    »Stimmt, noch weniger. Das meine ich ja, wahrscheinlich war es ein Rauhfußkauz oder eine Waldohreule oder sogar ein Uhu. Natürlich müßten wir den vollständigen Ruf hören, um sicher zu sein. Der Fleckenkauz hat einen schrillen Schrei, den er drei-, viermal ausstößt, sehr dicht aufeinander, immer lauter.«
    »Warum rufst du ihn dann nicht?« flüstert Sierra, und die Stille der Nacht ist keine Stille, sondern der tosende Hintergrund einer dicht bevorstehenden, katastrophalen Überraschung. »Damit er antwortet. Und dann wüßten wir’s, oder?«
    Bildet er es sich ein, oder spürt er, wie ihm der Boden unter den Füßen entgleitet? Er ist blind, vollkommen blind, zieht die Schultern ein in Erwartung des ersten unerwarteten Schlags, sein Atem geht rasch, das Herz hämmert gegen das Gitter seines Käfigs. Und die anderen? Die gehen nebeneinander die Straße entlang wie Touristen auf einer Mole, laut und gemächlich, gedankenlos. »Und da wir gerade dabei sind«, sagt er und ist überrascht von der Vehemenz seiner Stimme, »möchte ich dich was fragen, Andrea – hast du an die Windeln gedacht? Oder wird das ein weiterer Fall in der langen Serie von, von...«
    » Wobei sind wir gerade?«
    »Dabei. Beim Thema Unauffälligkeit und perfekte Vorbereitung.«
    Er spricht ins Nichts hinein, in die Leere vor ihm, er geht die unsichtbare Straße entlang und stößt Wortketten aus wie ein brabbelnder Penner. Das Käuzchen ruft noch einmal, dann hört man etwas anderes, ein knatterndes, hartes Schaben in der Finsternis.
    »Natürlich hab ich an die Windeln gedacht.« Besänftigend fährt die große, männliche Hand seiner Frau über das doppelt abgesteppte Nylon ihres Rucksacks. »Und an die Sandwiches und die Vollkornriegel, sogar an Sonnencreme. Meinst du, ich weiß nicht, was ich hier tue? Willst du das andeuten?«
    Er will gar nichts andeuten, aber er ist knapp davor, sich ungeahnt drastisch auszudrücken. Die Flitterwochen sind vorbei. Er riskiert hier Verhaftung, Demütigung, körperliche Mißhandlung oder noch Schlimmeres – und zwar für sie, alles nur für sie, oder jedenfalls ihretwegen –, und ihr Tonfall ärgert ihn. Er will es ihr heimzahlen, sie irgendwie erwischen, einen schönen altmodischen Ehestreit vom Zaun brechen, aber statt dessen läßt er die Stille für sich sprechen.
    »Was für Sandwiches?« will Sierra wissen, eine gepreßte, schüchterne Anfrage, die sie in das Kuvert der elterlichen Zwistigkeit steckt. Mit Mühe erkennt er die Umrisse ihrer Gestalt, schwarz gegen schwarz, die hängenden Schultern, die zu großen Füße, das knospende Wunder ihrer mit Tofu genährten Formen, und da packt ihn gleich wieder die Panik: Was ist, wenn die Sache böse ausgeht? Was dann?
    »Etwas Besonderes für dich, Liebes. Eine Überraschung.«
    »Tomate, Avocado und Sojasprossen auf Honig-Weizenkleie, mit einem Klecks Mayo dazu?«
    Ein leiser Pfiff von Andrea. »Ich kann schweigen.«
    »Hummus – Hummus und Tabbouleh auf Vollweizen-Fladenbrot?«
    »Wie ein Grab.«
    »Erdnußbutter mit Marshmallows? Und Schokoaufstrich?«
    Ein Spaziergang im Park, hatte sie das nicht gesagt? Sicher, klar doch. Und wir veranstalten hier einen solchen Heidenlärm, daß wir ebensogut Feuerwerksraketen abschießen und dazu noch auf eine große Trommel einschlagen könnten. Ein Riesenspaß das Ganze, was? Eine Familie, die zusammen Sabotage treibt, bleibt auch zusammen? Aber wenn sie uns doch abhören? Was ist, wenn sie davon erfahren haben, wenn jemand geplaudert, gequatscht, uns verpfiffen und verkauft hat? »Also wirklich«, hört er sich sagen, versucht, lässig zu klingen, aber es gelingt ihm nicht, »ihr müßt einfach still sein. Ich bitte euch – laßt das. Andrea. Sierra. Teo. Nur für meinen Seelenfrieden, wenn ihr sonst keinen Grund habt...«
    Andreas Antwort kommt klar und deutlich, es ist zweifellos kein Flüstern: »Sie haben keinen Wachtposten, das hab ich dir jetzt tausendmal gesagt – also krieg dich wieder ein, Ty.« Eine Zäsur. Die Grillen, gedämpfte Schritte von Füßen in Turnschuhen, das leise Pfeifen des Nachtwinds im todgeweihten Gewölbe von Geäst und Gezweig. »Aber ab morgen haben sie

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