Grün war die Hoffnung
zu«, warnt ihn Andrea, »so geht dir nicht gleich die ganze Nachtsicht flöten, nur für alle Fälle, meine ich, falls irgendwer...« Und dann knipst sie die Lampe an. Schlagartig explodiert die Welt zu Licht, und es ist eine neue Welt, erdfarben und eng umschrieben, die Betonsäcke wie vollgestopfte braune Kissen, die Röhren ihrer Beine, die geschwärzten Turnschuhe. Dummerweise hat er sein gutes Auge geschlossen – das, mit dem er in der Nähe scharf sehen kann –, deshalb muß er doch das andere öffnen und einen gefährlichen Moment der Nachtblindheit riskieren, um die Aufschrift auf dem Sack zu lesen.
King-Kong-Beton, steht da über dem Bild eines Zeichentrickaffen mit Sonnenbrille, der eine Schubkarre herumfährt. »Qualitäts-Fertigbeton. Anwendung: Inhalt mit Wasser zur gewünschten Konsistenz anmischen. Außer Reichweite von Kindern aufbewahren«, liest er vor.
»Da wären wir wieder bei der Konsistenz«, sagt Teo und scharrt mit den Füßen neben dem Sack, das ist alles, was von ihm zu sehen ist, seine Füße – seine zierlichen Füße, die nicht größer als die von Sierra sind – in dem Lichtkegel, der sich aus Andreas Hand ergießt. Aber Tierwater kann ihn sich vorstellen: stämmig und muskulös, der Oberkörper gestählt vom Gewichtheben und vom Surfen mit dem Longboard in der Brandung, ein feingeschnittenes Gesicht, Handgelenke und Fußknöchel schmal wie bei einem Mädchen. Er ist so klein und muskelbepackt, daß er eine eigene Rasse vertreten könnte, eine Art menschlicher Terrier, furchtlos, unermüdlich, hartnäckig und mit einem Kläffen wie – aber genug. Sie brauchen ihn hier. Sie brauchen ihn, damit er sagt: »Scheiße, jetzt kippen wir das Zeug einfach rein und bringen die Sache zu Ende.«
Also tun sie das. Sie schlitzen die Säcke auf und lassen sie von der verläßlichen Schwerkraft leeren. Fluchend und nach Insekten schlagend, schleppen sie in dem dichter werdenden Moskitomiasma das Wasser herbei und kippen die Eimer ohne viel Federlesens über den Fertigbeton. Dann mischen und verteilen und rühren sie, bis der Graben mit einer einheitlichen Masse gefüllt ist, die an kalte Lava erinnert, und endlich ist die Stunde gekommen. »Seid ihr bereit?« flüstert Tierwater. »Teo außen, Andrea neben Teo – und Sierra, du zwischen Andrea und mir, okay?«
»Hast du nicht etwas vergessen?« Das ist Andrea. Sie ist erschöpft, aber sie erobert die Initiative zurück.
Er sieht sich im Dunkeln zu ihr um, eine nutzlose Geste. »Nein, was denn?«
Ein leise trällender Tonfall, ein Hauch von Zufriedenheit. Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht, den Film gesehen, das Gedicht auswendig gelernt, mit ihrem inneren Selbst Kontakt aufgenommen. Sie weiß, was Sache ist, und er nicht. »Der unerläßliche letzte Schritt, das Problem, das du schon die ganze Woche ausblendest, außer wenn du mich beschuldigt hast, ich hätte es vergessen – vielmehr: sie vergessen.«
Da durchzuckt es ihn. »Die Windeln?«
Achtzehn pro Packung, zu sechzehn neunundneunzig. Sie mußten in drei verschiedene Größen investieren – S, M und L, jeweils für Sierra, für Andrea und Teo, und für ihn –, aber Andrea meinte, sie würden sie bestimmt bei der nächsten Aktion verbrauchen, wann und wo immer die auch stattfinden würde. Entweder das, oder sie konnten sie anderen Freiwilligen schenken. Sie heißen, beruhigenderweise, Vertrauen , und auf ihren Rat hin haben sie die Höschenwindeln extra saugfähig gekauft. Den winzigen Bruchteil eines Augenblicks muß er daran denken – extra saugfähig – und daran, was diese Dinger aufsaugen sollen.
Einen Moment lang ist es still in der Dunkelheit, der nackte Wald knistert ringsherum, die allerersten Vögel rufen schon nach der Morgendämmerung, während sie alle vier mit einem sehr privaten Akt beschäftigt sind. Das Aufziehen von Reißverschlüssen, Hüpfen auf einem Fuß, Arme fuchteln wild ums Gleichgewicht, dann sind alle gewickelt, und die Jeans werden wieder hochgezogen, um sich um Bäuche und Hintern zu schließen. Windeln – oder Einlagen, wie Profis sie euphemistisch nennen, um die Alzheimer-Patienten und sonstige wandelnde Katastrophen nicht zu beleidigen, die Tag und Nacht in so etwas gepackt werden müssen – hat er seit seiner Säuglingszeit nicht mehr getragen, und davon weiß er praktisch nichts mehr. Er erinnert sich aber noch an Sierra, wie sie greinend und gurgelnd ihre mit Scheiße beschmierten Beinchen in die Luft warf, während er sich über die
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