Grün war die Hoffnung
McKibben –, aber ihm brennen die Augen und die unbarmherzige, deprimierende Rhetorik bringt ihn auf Selbstmordgedanken. Oder auf Mordgedanken. Es ist heiß. Sehr heiß. Außergewöhnlich heiß. Und obwohl sie alle Rucksackwanderer und regelmäßig in der Sonne sind, ist das hier etwas völlig anderes, eher eine Art Folter – so wie der Schwitzkasten in Die Brücke am Kwai –, und als er den Wassersack zum hundertstenmal zum Mund hebt, erinnert ihn Andrea daran, daß Wasser kostbar ist. »So wie’s aussieht«, sagt sie, und da ist wieder die Stimme der Erfahrung, in der jetzt eine gewisse grimmige Befriedigung mitschwingt, »könnten wir noch eine Weile hier sein.«
Und dann ertönt in weiter Ferne ein so leises Geräusch, daß sie anfangs gar nicht sicher sein können, überhaupt etwas gehört zu haben. Es ist der Klang eines Verbrennungsmotors, eines Diesels, dessen Pat-pat aus den Zwischenräumen der Bodenwellen zu ihnen dringt. Das Geräusch wird lauter, zuerst sehen sie die Wölkchen von giftig-schwarzem Auspuffqualm, und dann kommt auf einmal eine Planierraupe in Sicht, abgestoßene gelbe Lackierung, Antriebsrollen so groß wie Mühlräder, ein Knollengesicht voller Entschlossenheit und Empörung über den Armaturen. Der Fahrer donnert geradewegs auf sie zu, als wäre er blind, er hält die Schaufel gesenkt, als wollte er die vier Demonstranten abernten, an den Knöcheln durchtrennen wie eine Reihe vertrockneter Maisstauden. Tierwater fährt sofort hoch, steht irgendwie auf, instinktiv greift er nach der Hand seiner Tochter, und sie sagt: »Dad? Weiß er Bescheid? Ist ihm klar, daß wir nicht wegrennen können?«
Es ist genau wie vorhin bei dem Pickup, nur viel schlimmer: alle vier brüllen sie, bis ihnen die Adern am Hals hervortreten, Andrea und Teo fuchteln mit den Armen über dem Kopf, vor Angst und tödlicher Spannung bricht ihnen der Schweiß am Kopf und an den Geschlechtsteilen aus, und nichts anderes will der Mann auf dem Bulldozer. Er weiß genau, was hier vorgeht – alle wissen es inzwischen, von den Vorarbeitern bis zu den Vermessungstechnikern –, und sein Ziel ist es schlicht und einfach, sie einzuschüchtern. Die vielen vibrierenden Tonnen von blinkendem Stahl in voller Bewegung, die riesigen Gleisketten, die sich in die Straße fressen, und der Lärm dieses Dings, das immer noch mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zudonnert. Tierwater kann die Augen des Wahnsinnigen am Schalthebel nicht sehen – eine Sonnenbrille, er trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, die ihn insektenhaft und böse wirken läßt, keine Gnade, kein Einspruch –, und auf einmal ist er fuchsteufelswild, bereit zum Morden: das alles ist ein krankes Spiel. Im allerletzten Moment reißt die grobknochige Hand einen Hebel zurück, das Ding bäumt sich auf wie ein Pferd und biegt knapp vor ihnen ab, mit einer gewissen mechanischen Grazie, die er kaum für möglich gehalten hat.
Doch das war nur der erste Durchgang, und er trägt den Bulldozer mit einem schweren Rumser in die Felswand neben ihnen, Funken sprühen von der Schaufel, das Kreischen einer unnachgiebigen Fläche, die auf eine andere trifft, und Tierwater spürt den Aufprall bis in die Füße, während Gesteinssplitter und Dreck auf ihn niederregnen. Gewalt ist ihm durchaus vertraut. Sein Vater übte sie aus, seine Mutter erlitt sie, seine erste Frau ist daran gestorben – an der allerbanalsten Form von Gewalt, in einem so entlegenen Wald wie diesem hier. Neu ist ihm eher der Pazifismus oder Masochismus, oder wie man das auch nennen mag, was sie hier gerade durchleiden, und wenn er seine Beine nur eine halbe Minute lang befreien könnte, würde er diesen verbissenen Scharfrichter da von seinem Sitz runterholen und in das Gesetz der Faust einweisen, das würde er. Aber er kann nichts unternehmen. Er kommt nicht los. Sitzt fest auf dem Leim des passiven Widerstands, Mahatma Gandhi, Rosa Parks und James Meredith gehen ihm in rascher Folge durch den Kopf. Und er schwört sich: Nie wieder, niemals! , als der Mann am Schalthebel seine acht Tonnen aus kreischendem Eisen und Stahl für die zweite Runde herumwirft, und dann für die dritte und die vierte.
Aber das reicht. Das reicht jetzt wirklich. Tyrone Tierwater möchte sich nicht daran erinnern, was das seiner Tochter antat, oder an ihren Gesichtsausdruck oder das schale, triste Gefühl der eigenen Ohnmacht. Irgendwann tauchte der Sheriff mit seinen zwei Deputys auf, ließ sich jede Menge Zeit dabei. Und was tat er,
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