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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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solche Mätzchen), und darunter nichts als das, womit sie geboren wurde. Oder wozu sie sich entwickelt hat. Ich folge Chuys Blick auf das schwarze Hemd und der Stelle weit unten, wo sie die letzten beiden Knöpfe offengelassen hat. Ich sehe ihr Schamhaar, und es ist weiß, weiß wie ein Schneehuhn (auch schon ausgestorben), und dann starren wir beide auf ihr pechschwarz gefärbtes Kopfhaar. Ich muß es zugeben: es ist mir peinlich. Und ehe ich noch recht nachdenke, gehe ich auf sie zu und fasse hin, knöpfe ihr das Hemd zu wie ein verliebter Ehemann. Oder vielleicht wie ein liebestoller Hund – einer mit Mundgeruch und Räude, der aufs Geprügeltwerden auch noch steht. »Andrea«, sage ich, »Chuy. Chuy, das ist Andrea.«
    Chuy staunt sie aus wäßrigen Augen an, als wäre sie einem Tiergehege entsprungen, und jetzt sieht er auch mich argwöhnisch an, bewertet alles in völlig neuem Licht, was wir während der letzten zehn Jahre miteinander getan und beredet haben – die erfrischenden Biere, im Freien gegrilltes Fleisch, die Tiere, die uns in Schwällen von Blut und Scheiße gestorben sind, die Bisse, Prellungen, schwärenden Klauenwunden und die überstürzten Fahrten in die Notaufnahme, Lori und ihr schmachtendes Lächeln und ihre Lust auf Fünf-Sterne-Sake, den seltenen 95er Chardonnay Qupé aus Macs Weinkellern, den wir uns bei besonderen Anlässen zu dritt genehmigten, und Mac selbst – alles eben. Und Andrea, die sieht ihn nur fröhlich an und fragt: »Bleibst du zum Frühstück?«
    Ich sehe, wie Chuy mit dieser Frage ringt, und ich stehe knapp davor, für ihn zu antworten, den George für seinen Lennie Small abgeben, als auf einmal ein furchterregendes Donnern an der Tür ertönt. Wer das ist? Delbert Sakapathian von Apartment 1002B, Avenida Lupine Hill, Santa Ynez, Kalifornien. Es ist ein großer Kerl, Kopf wie eine Billardkugel, jünger als die Jungalten, so um die Sechzig, und mit einer Wampe, wie man sie um die Jahrhundertwende noch öfter gesehen hat, als Junkfood die Standardnahrung war. Heute sehnen sich die Leute nach Fleisch und Fisch und Brokkoli, Süßkartoffeln, Mangold, Weizenkeim, lauter Sachen, die man nicht mehr so leicht kriegt wie früher, und die Schoko-Erdnuß-Taschen, die Limo-Brause-Plätzchen oder die extrascharfen Dorito-Tortilla-Chips mit Fleischaroma nimmt keiner mehr geschenkt. »Sind Sie das?« fragt Delbert Sakapathian und hält mir einen Finger von der Größe eines Spielzeug-Baseballschlägers vors Gesicht.
    Ich habe keine Zeit für dieses Zeug, wirklich nicht, aber wenn ich so Petunia zurückbekomme, dann werde ich zusehen, ob mein Sekretariat einen meiner Vormittagstermine absagen und Mr. Sakapathian hineinquetschen kann. Ich nicke. »Ich bin’s«, sage ich.
    Der Türrahmen ist nicht breit genug für ihn, und außerdem tut der Regen dem Teppich gar nicht gut, ganz abgesehen von dem rötlichen Dreck, der von seinen Gummistiefeln trieft, und der stetigen Wasserzufuhr von seiner Öljacke (da hätten wir gleich noch ein weiteres Unternehmen zum Investieren: Regenbekleidung AG oder vielleicht »Capes›R‹Us«). »Also, verdammt noch mal«, keift er. »Verdammte Scheiße!«
    Und dann mengt sich eine Stimme über meine Schulter hinweg ein, so präzise wie eine Lenkwaffe. »Kriegen Sie sich mal wieder ein«, sagt Andrea, und diesen Tonfall kenne ich gut, wenn er auch nicht an mich gerichtet ist – diesmal nicht, noch nicht jedenfalls. »Und machen Sie die Tür zu, Sie Primitivling – Sie ruinieren hier den Bodenbelag.«
    Die große, triefende Billardkugel duckt sich, Kinn zur Brust, und dann ist Delbert Sakapathian im Zimmer, die Tür fällt donnernd hinter ihm zu. Er hat sich abgeregt, aber nur kurz. »Ihr müßt dieses Vieh, mir egal, was das ist, da rausholen, weil es meine, meine kleine...«, hier schwappt eine Gefühlswelle in seine Augen, und ich glaube, er bricht uns gleich zusammen, »... Pitty-Sing, meine Katze erwischt hat, und ihr solltet, ich meine, ihr müßtet, verdammt noch mal, denn wenn ihr irgendwas passiert, dann werd ich, werd ich...«
    Und dann kämpfen wir gegen den Wind an, wir alle vier, in Regencapes und Stiefeln und Südwestern, wie Teerjacken beim Umschiffen von Kap Hoorn auf einem alten Klipper, nur daß das hier Festland ist – sollte es jedenfalls sein oder war es mal –, und ich hab den Elektroschocker in der einen Hand und Andreas große warme Faust in der anderen. Chuy geht mit dem Drahtnetz voran, mit asthmatischem Keuchen bildet Delbert

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