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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Andrea einen bedeutsamen Blick zu, aber sie ist in Gedanken gerade anderswo. Bei jedem Stich, dem kleinen Brennen und dem größeren Schmerz, der nachfolgt, betrachte ich sie, zuerst im Profil und dann von hinten, als sie durch den Raum ans Fenster tritt, das gar kein Fenster ist, sondern eine nackte, verworfene Pseudoholzplatte mit vorgebohrten Löchern zur leichteren Montage (noch so eine florierende Branche). Ich kann mich immer noch nicht an sie gewöhnen. Wie paßt das Gesicht einer alten Frau zu diesen Schultern und diesen Beinen? Darüber denke ich nach, während der Arzt – ein Steppke von knapp Zwanzig, der sich vermutlich noch nicht mal rasieren muß – mit der Nadel in meinen Arm sticht, und mehr noch: wenn man den Schmerz nach Graden messen will, was heißt es wohl, daß sie endlich zu mir zurückgekommen ist?
    April Wind ist tief eingesunken in die nach Hunden stinkende Couch, die ich vor zehn Jahren zusammen mit diesem Haus geerbt habe. Ich halte keine Hunde. Nie welche gehabt. Wer braucht einen Hund, wenn er Hyänen, Patagonische Füchse und Brillenbären hat? Die Sache ist die, daß einer von Macs Roadies hier gestorben ist – genau hier, auf dem Fußboden unterm Fenster, wo man immer noch die Flecken sehen kann, wenn man genau hinschaut –, nach einem unerquicklichen, absolut vermeidbaren Mißgeschick, an dem eine Seilschlinge, eine Plastiktüte, zwei Frauen und drei große Ketchupflaschen beteiligt waren; seine Habe, wie man wohl sagt, ist an mich übergegangen. Oder heißt es auf mich? Jedenfalls sitzt sie nun dort, und ich vergesse meinen kaputten Arm, den Schmerz in meinem Steißbein, der wie ein Feuer rast (hab es präzise gegen die offene Tür eines Trockners gerammt, als Petunia nach mir hechtete), oder die Tatsache, daß ich schon die zweite Nacht hintereinander ein höchst befriedigendes und enorm nachwirkendes sexuelles Erlebnis hatte – ich bin ein Fremder in meinem eigenen Haus, und mein Haus wird langsam voll.
    Gestern früh habe ich gepfiffen, heute bin ich nicht dazu in Stimmung. Das Frühstück (Haferschleim, als Ballaststoffe etwas Kleie und Bierhefe dazugekippt, die Krabben wurden bereits der Liebe geopfert) ist kaum verdaut, bis jetzt hab ich weder die Zeitung gelesen noch mich auf dem Klo gequält, und da weht dieser Windhauch aus der Vergangenheit herein. Ein Wind mit Gesicht. Ich muß an das Poster von Peter Max denken, der Kampf um das Wetter mit Helios in der einen Ecke und Äolus in der anderen. Damals gewann natürlich regelmäßig die Sonne.
    »Ty, du erinnerst dich an April«, sagt Andrea, und sie macht keine Frage daraus. Ich sehe ihr zu, wie sie einen der schimmelfleckigen Küchenstühle durch den Raum schleift und sich mädchenhaft auf die Kante setzt, die nackten Füße auf die Beinsprossen gestützt. Wie sie das tut, die Art, in der sie den Stuhl packt und darauf Platz nimmt – und mehr noch der Klang ihrer Stimme, ihr Geruch –, das alles rührt eine tiefliegende Inversionsschicht in dem lange nicht mehr bewegten See meiner Erinnerung auf. Aber darum geht es doch wohl auch, oder? Ums Erinnern? In memoriam, Sierra Tierwater, 1976–2001. Ruhe in Frieden. Keine Chance.
    »Ich sagte: du erinnerst dich an April, oder, Ty?«
    Aha, jetzt ist es eine Frage. Ich kann Zeit schinden. Kann den alten Mann spielen, frisch vom Nasentropf und mit weicher Birne, aber was bringt mir das – sechzig Sekunden Aufschub? Andrea ist zäh. Sie will irgendwas – ich weiß noch nicht genau, was eigentlich, aber mir ist klar, sie wird’s kriegen. Außerdem bin ich nicht so alt, nicht so wie meine Großeltern damals – oder Andreas gebrechlicher Vater und das umherschlurfende, verhutzelte alte Wrack von ihrer Mutter, die während ihrer letzten zwei Lebensjahre Andrea für die Katze der Putzfrau hielt –, weil meine Generation (mit pharmazeutischer und chirurgischer Unterstützung) niemals ihre Jugend aufgegeben hat, bis daß der Tod uns scheide. April Wind weiß das. Und Andrea weiß es sowieso. Natürlich könnte ich ins Schlafzimmer rüber, auch mit dem schlimmen Rücken und einem halb abgefressenen Arm, um die gute alte Nitro Express zu holen, die Zwölf-Millimeter-Elefantenbüchse, die ich vor tausend Jahren von Philip Ratchiss gestohlen habe, und die beiden in Hyänenfutter verwandeln, aber trotz gegenteiliger Berichte war ich nie gewalttätig. Jedenfalls nicht besonders gewalttätig. Oder übertrieben gewalttätig. »Yeah«, knurre ich, »sicher.«
    Die Frau, die mit den

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