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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sagt Ty.
    Und dann sind wir unterwegs zur Notaufnahme, wo sie längst eine Trage und einen Tropf mir zu Ehren benannt haben, wir sitzen eng aneinandergeschmiegt da (obwohl Andrea mit der Rechten auf den Druckpunkt vorn an meinem Ellenbogen preßt und Chuy hektisch das Lenkrad bearbeitet wie ein Dursban-verkorkster Rennwagenfahrer), und ich kann mich einfach nicht an den Namen der Frau erinnern, die mit den Bäumen spricht. Jedenfalls wird sie demnächst hiersein. »Ich habe sie für morgen eingeladen«, so drückt Andrea es aus, während Chuy auf der Straße herumschlittert wie ein großer Siamesischer Wanderwels, der Verkehr staut sich bis nach Monterey, und wir fahren rechts raus auf der Bankette weiter, he, Mann, wir schaffen es! »Was meinst du mit ›morgen‹?« frage ich, und sie verstärkt ihren Druck auf die Arterie, die meinen Arm versorgt.
    Sie antwortet – und der Wind pfeift dabei, der Olfputt schaukelt, das Blut fließt frei dahin –: »Ich meine den Tag nach heute. Mein Liebster.«
    Mexico City, São Paulo, Shanghai, Buenos Aires, Seoul, Tokio, Dhaka, Kairo, Kalkutta, Reykjavík, Caracas,Lagos, Guadalajara, Greater Nome, Sachalinskij, Nanking, Helsinki – diese Städte sind heute alle größer als New York. Sechsundvierzig Millionen Menschen in Mexico City. Vierzig in São Paulo. New York firmiert nicht mal mehr unter den Top Twenty. Und wie fühl ich mich dabei? Alt. Als hätte ich meine Zeit überlebt – und die von allen anderen. Denn die Gegenentwicklung läuft ja bereits – seit längerem sogar. Fressen wir einander eben auf, schlage ich vor – heute abend mein Arm, morgen mittag deiner –, weil es ansonsten nur noch verflucht wenig anderes zu essen gibt. Ökologie! Was für ein Witz.
    Das ist keine Predigt. Ich halte keine Predigten. Es ist zu spät dafür, und abgesehen davon hat das Predigen noch nie irgendwas geholfen. Aber eins will ich sagen, der Ordnung halber – die meiste Zeit meines Lebens war ich Verbrecher. Genau wie ihr. Ich wohnte am Stadtrand in einem schicken Dreihundert-Quadratmeter-Haus mit Redwoodwänden und Eichenholzböden und mit einem Ölkessel so groß wie Texas, fuhr einen restaurierten 1966er Mustang zum Spaß und einen Jeep Laredo (außen rot, innen schwarzes Leder) für Fahrten in die Adirondacks-Berge, wo ich meinen dreihundertzwanzig Dollar teuren Eddie-Bauer-Rucksack buckelte und die Gesellschaft von Eichhörnchen, Bisamratte und Iltis genoß.Ich ging ins Fitness-Studio. Ich soff in schicken Kneipen voller Topffarne. Kaufte Schuhe, Jacken, Pullover und Haarpflegeprodukte. Vermutlich war mir vage bewußt – irgendwo weit draußen an der Peripherie meines Verstandes –, was ich dem armen geschändeten Körper der guten alten Mutter Erde antat, ich brachte sogar hie und da meinen Müll getrennt zur Sammelstelle (wenn ich Zeit dazu hatte, vielleicht zweimal im Jahr), und ich dachte viel über das Verpacken nach. Im Winter trug ich im Haus einen Pulli, um Energie zu sparen und die Flamme der globalen Erwärmung runterzudrehen, und dennoch verbrauchte ich Brennstoffe, immer mehr Brennstoffe, und der von mir erzeugte Abfall stopfte ein eigenes Loch in der Deponie, wie eine Dauerfüllung in einem faulen Zaun.
    Schlimmer noch: ich sammelte Sachen. Sie schienen mir zuzustreben wie Eisenfeilspäne einem Magneten, ein richtiger polarisierter Pelzsaum aus Gegenständen haftete sklavisch angezogen an meinen Fingerspitzen: Büroklammern, Nadeln, Plastiktüten, alte Verstärker, verrostete Grillroste. Kleider, Bücher, Platten, CDs. Kochgeschirr, Fleischmesser, Mixer, Popcornbereiter, Espressomaschinen, die Mäntel meines toten Vaters und die Schuhe meiner toten Mutter. Ich hatte einen zweiten Mustang, der hinter der Garage auf Mauersteinen aufgebockt stand, von Rostgraffiti verziert. Auf dem Dachboden lagerten Stühle, die seit fünfzig Jahren kein Hintern mehr gewärmt hatte, Truhen voller sauber gefalteter Shorts und Polohemden, die ich mit fünf Jahren zum letztenmal getragen hatte.
    Ich fuhr schnell, war immer in Eile, und das Handschuhfach war so vollgestopft mit Strafzetteln, daß es aussah wie ein Serviettenspender im Restaurant. Ich ging mit Frauen aus, ganzen galoppierenden Herden von Frauen, immer auf der – sinnlosen – Suche nach einer zweiten Jane. Ich war Vater. Kochte. Putzte. Verwaltete das zerbröckelnde Reich meines verstorbenen Vaters – kennt ihr sicher, Sy Tierwater, Erbauer von Eigenheimsiedlungen in Westchester und Dutchess County –, zahlte

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