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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Freunde, die vom Krebs dahingerafft wurden, und Lori – Lori ist in meinen Armen gestorben, wir beide mit Gazemasken vor dem Mund und die Mucosa so dick in ihren Lungen und im Hals, daß sie trotz eines Luftröhrenschnitts nicht mehr atmen konnte, und auch das war ganz natürlich, nichts ist natürlicher als die Krankheiten, die wir mit unserer klebrigen, promiskuitiven Lebensweise verbreiten. Aber was ist mit meinen Eltern, meiner Frau, meiner Tochter, was ist mit Teo? Man sagt, selbst wenn man alle Krankheiten heilen könnte (und was für ein Witz aus dieser hübschen Verheißung geworden ist), würden die Leute dennoch nicht viel älter als neunzig werden, wegen der vielen Unfallrisiken im Leben. Statistische Lebenserwartung? Würfeln ist genausogut.
    Zufall und Unfall regieren das Universum, das weiß ich, und man entrinnt ihnen nicht, egal, was die Wissenschaft sagt. Aber vom Zufall gelangt man leicht zur Idee des Glücks – und wer ans Glück glaubt, kann ebensogut die Kristallkugel hervorkramen und eine Zauberformel sprechen, oder sich von April Wind ein Totem ausborgen und mit den Bäumen quatschen. Los doch, betet zu den Göttern, betet zu Gott und zu Jehova, betet zu Newton und Kepler und Oppenheimer. Ihr werdet ja sehen, was es euch nützt.
    Meine Mutter, Bernadette O’Shaughnessy, die glaubte an das Mysterium mit göttlichem Antlitz, sie glaubte an den Himmel, heilige Geister und die Engel hoch droben. Sie sorgte dafür, daß ich in der gedämpften Stille der von Kerzenlicht erhellten Kirche der Heiligen Mutter Himmelfahrt in Peterskill, New York, auf der harten Bank saß, als ich noch so klein war, daß ich nicht mal über die Lehne sehen konnte. Und so implodierte jeder Sonntagmorgen in dem verschlafenen, öden, hirnerweichenden Ritual, das die Messe war, von der mir jedoch nichts weiter blieb als ein Wust von überarbeiteten Sinneseindrücken, die in meinem siebzigjährigen Hirn fehlzünden: der Handschuh meiner Mutter wie Seide auf meiner eigenen Hand, ihr starkes Parfum, das den narkotisierenden Moschusduft des Weihrauchs in die Schranken wies, die Eiseskälte des Weihwasserbeckens – eiskalt sogar im Sommer – und die Orgelmusik, es war wie ein exotisches Festmahl, das einen bis zum Platzen anfüllt mit etwas, was gar kein Essen ist. Ich besuchte den Religionsunterricht. Kannte Nonnen und Priester. Ich wurde acht, zehn, zwölf, empfing die Kommunion, wurde gefirmt und in die Mysterien des Lateins eingeweiht und erfuhr, daß Selbstbefriedigung Sünde ist und daß Gott immer zusieht. er erschuf das Universum, den Fliegenschnäpper, den Zaunkönig, die Schabrackenhyäne und all die vierundfünfzig Milliarden Galaxien, und er erschuf auch mich und den Weihnachtsmann und seine Engel und den Berg von schimmernd verpackten Geschenken unter dem Christbaum.
    Ja, na sicher. Und dann kam die Wissenschaft.
    Die Wissenschaft – Empirismus, Skeptizismus, Forscherdrang, Zweifel, Debattierfreudigkeit und gnadenloser Spott – war eine Mitgift meines jüdischen Vaters, Seymour Tierwater, den alle Welt Sy nannte (Alles klar? Sy und Ty) , nur ich nannte ihn Daddy. Im Krieg war er bei der Militärpolizei, ein Typ, der Leute so hoppsnahm wie er Walnüsse knackte, ein zorniger Mann, ein starker Mann. Er trank Wodka. Meine Mutter trank Scotch. Mit Unterstützung des Vaters meiner Mutter, eines röhrenden, bellenden, hartleibigen, kreidezeitlichen Wesens, das in den Wohnzimmern und Barkellern meiner frühen Jahre eine tragende Rolle spielte, hatte Seymour Tierwater seinen Abschluß in Architektur am City College geschafft und danach die Siedlung gebaut, in der ich aufgewachsen war. Und wie baut man eine Wohnhaussiedlung? Mit Hilfe und Anleitung Gottes? Mit Weihrauch und Zauberei? Mit dem Beistand der Engel? Nein. Man baut sie mit Hilfe von rechten Winkeln und wirklichen Dingen, konkreten Dingen – Dingen, die der Mensch selbst erzeugt oder sich zunutze macht in diesem abweisenden, fremden, gottlosen Universum, das existiert, weil es eben existiert, aus keinem anderen erkennbaren Grund.
    Mein Vater und ich hatten nie Diskussionen der Sorte: »Wenn Gott so gut und weise und allmächtig ist, wieso hat er dann die Zecke und den Bandwurm erschaffen und Millionen von Juden in den Öfen sterben lassen?« Für ihn gab es keinen Gott außer der Wissenschaft, von Anbeginn aller Zeiten. Aber der Ehevertrag meiner Eltern dürfte irgendeine hieb- und stichfeste Klausel enthalten haben – das Geld des Großvaters, die Religion

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