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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ihrem Vater in die Arme warf.
    »Nein!« war alles, was der Bauinspektor hervorbrachte, aber er verlieh seinem Sinn von Gesetz und Ordnung und Anstand handgreiflich Nachdruck, indem er sich dazwischendrängte, um mit einer Hand Tierwaters rechten Arm und mit der anderen Sierra zu packen, und versuchte, sie auseinanderzureißen – eine Bewegung, wie er sie vielleicht auch an einer widerspenstigen Fahrstuhltür probiert hätte.
    (Ich muß hier erwähnen, daß es mir nie so recht gefallen hat, wenn mich Fremde am Arm festhalten, deshalb hätte das allein schon gereicht, aber dieser töchterverwahrende Spießbürgerheini vom Oregoner Kinderschutzprogramm war dabei, mich von meiner Tochter zu trennen – zu welchem Zweck, das konnte ich mir gut vorstellen. Dazu die Reaktion von Andrea und dieser Halbstarke mit dem Karottenkopf sowie der permanent kläffende Hund, da kann man mir wohl kaum vorwerfen, daß ich auf eine Weise reagiert habe, die Sheriff Bob Hicks enttäuscht hätte.)
    Zuerst versuchte Tierwater seine Tochter nur abzuschirmen, drückte sie an sich und brachte schützend den Oberkörper zwischen ihre dünnen Ärmchen und die Krallenhände des Bauinspektors, allerdings nur einen rasch verstreichenden Augenblick lang. Sie hatte sich ihm in die Arme geworfen. Er wollte sie festhalten, wollte sie beschützen. War das ein Verbrechen? Das fand er nicht, doch ehe er diese Frage überdenken oder auch nur Atem holen konnte, war der stiernackige Junge da, die massigen Handgelenke und fetten Wurstfinger rissen an Sierras Schultern, es war das reinste Tauziehen, und weiter unten komplizierte der Hund die Lage zusätzlich, indem er nach Tierwaters schutzlosen Schienbeinen und den heruntergerutschten Socken schnappte. Einen nicht enden wollenden Moment lang legten sie einen Tanz hin, alle vier, Arme rangen mit Armen, Füße scharrten auf dem Asphalt, ein Grunzen und Ächzen, während der Hund kehlig dazu bellte, Andrea und die zwei dürrbeinigen Mädchen von den Seitenlinien gute Ratschläge schrien, und auf einmal fand sich Tierwater in einer gänzlich anderen Arena.
    Er blickte in das aufgedunsene Gesicht des bulligen Jungen und sah Erlösung. Das war alles. Nicht daß er es geplant oder auch nur durchdacht hatte, aber als er die Faust über die Schulter seiner Tochter hinweg mitten in diesem bedrohlich nahen, feisten Gesicht landen ließ, fühlte er sich glatt vom Boden abheben, als hätte die Schwerkraft keine Macht mehr über ihn. Wie von Zauberhand wich der Junge zurück, alle neunzig Verteidigerkilos waren ausgeschaltet, während sich Tierwater bereits dem Bauinspektor widmete. Der Mann krallte sich immer noch an ihn, seine Miene angstvoll und flehentlich zugleich, und der Ellenbogen, den ihm Tierwater in die Luftröhre stieß, ließ ihn fliegen und flattern, hielt ihn auf Distanz und von weiterem Schaden fern.
    Tierwater dachte gar nichts, seine Haltung war defensiv, aber seine Tochter war jetzt hinter ihm, und Andrea saß plötzlich hinter dem Lenkrad des kackbraunen Wagens und brüllte: »Ty, Ty!« Er drehte sich zu Sierra um. Ihr Gesicht war blutleer, ihr Blick ratlos. Sie sah über die Schulter zu Andrea, dann wieder auf die zwei Mädchen auf dem Rasen, das türkisfarbene Haus und den Bauinspektor, der sich auf dem Asphalt wälzte, mit beiden Händen seinen Hals umfassend, ehe sie mit einem kleinen, triumphierenden Lächeln auf den Lippen zum Auto rannte. Der siegesberauschte Tierwater, auf den gerade wieder der Footballchampion losging – mit einem spastischen Sprung, wie er ihn vielleicht beim Tackling an einer Trainingspuppe probieren würde –, wich dem Angriff geschickt aus, versetzte sicherheitshalber dem Hund noch einen saftigen Tritt, der ihn unter verblüfftem Jaulen in den Graben segeln ließ. Und was tat es schon, daß er sah, wie sich die Lippen der zwei dürren Mädchen bewegten, als sie seine Autonummer vor sich hersagten, um sie im Gedächtnis abzuspeichern? Na und?
    Er hatte seine Tochter zurück, und niemand würde sie ihm je wieder wegnehmen.
    Auf den ersten fünfzehn Kilometern sagte keiner ein Wort. Das Benzin sauste durch den Vergaser, die Reifen quietschten, Andrea trat voll aufs Gas und riß mit hektischen Bewegungen ihrer großen Hände am Lenkrad, und alles – Farmhäuser, überladene Pickups, Hemden, Gesichter, Wäsche auf der Leine, Baumrinde, Äste, Blätter – raste an den Fenstern vorbei wie die Bilder beim Mischen von Spielkarten. Sie fuhr zu schnell, warf gehetzte Blicke in

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