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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Rückspiegel, der geliehene Wagen donnerte eine Landstraße nach der anderen entlang, und es gab auch nichts zu sagen. Denn was sie taten, war kein gewaltloser Widerstand, kein friedlicher Protest mehr, keine schlichte Mißachtung eines Gerichtsbeschlusses und auch keine vorsätzliche Zerstörung von Privateigentum entlang der Interstate 5 – es war Ernst. Tierwater wußte es, Andrea wußte es, und auch Sierra, die sich auf dem Rücksitz an ihn klammerte und zwischen dem leisen, heiseren Rasseln ihrer Schluchzer nach Atem rang, mußte es wissen. Einen Weg zurück gab es jetzt nicht mehr.
    Sie fuhren weiter. Eine Weide tauchte auf und verschwand wieder, zwei Pferde, ein Bachdurchlaß, eine schmale Brücke. Andrea schlingerte durch mehrere S-Kurven, der Wagen war wie ein großes ruderloses Boot, das die Stromschnellen eines wilden Flusses hinabschoß, bis Tierwater das Schweigen irgendwann mit einer konkreten Frage durchbrach: »Wo fahren wir hin?«
    Sie warf ihm einen grimmigen Blick zu, ihre Augen glänzten und traten leicht hervor. »Weg von hier, was glaubst du denn? Du warst es doch – wenn du nicht so stur gewesen wärst, wenn du nicht... du mußtest sie ja unbedingt sehen, was? Konntest es nicht einfach gut sein lassen. Ich hab dir gesagt, daß sich Fred um die Sache kümmern wird, oder?«
    »Fred!« fauchte er und erdrückte den Namen nahezu unter der Last seines Ekels. Er hatte den Kopf nicht länger eingezogen. Die Landschaft flog vorbei. Er hatte Angst, natürlich hatte er die, aber er fühlte sich auch animiert – er hatte gehandelt, endlich gehandelt –, und sein Herz raste schneller als der gequälte Motor des Chevy Nova. Er war aufgeputscht, voller Adrenalin, wild und wütend und duldete keinen Widerspruch. »Na schön, okay, dann streiten wir es aus. Reden wir mal darüber, wessen Idee es überhaupt war, in diesen beschissenen Siskiyou Forest zu gehen. Denn das bringt uns jetzt bestimmt enorm weiter, was?« Ein Auto kam ihnen entgegen und schoß mit leisem Zischen vorbei. Hinter ihnen glühten zweifellos die Telefone, und wie sie glühten. »Aber wo fahren wir hin? Weißt du überhaupt, wo du bist?«
    Er sah ihre Schulter, die sich wütend vorschob, als sie im Handschuhfach wühlte. Es dauerte eine Weile, dann knallte sie eine Straßenkarte nach hinten. »Krieg du das raus. Du bist hier der Spinner. Hinter dir sind sie her.«
    In diesem Moment hob Sierra den Kopf aus der Höhle seines linken Arms. Dort hatte sie ihr Gesicht vergraben, seit er in den Wagen gehechtet war und ihr die Arme entgegengestreckt hatte, und bei jeder Welle und Senke der Straße spürte er ihren warmen Atem auf der Haut, den sanft schwankenden Orbit ihres Körpers, wenn die Zentrifugalkräfte sie ihm zu entreißen drohten. Jetzt fuhr der Wagen durch ein Schlagloch, und er sah ihren Kopf auf der labilen Stütze ihres Nackens kippen. Sie hatte Wimperntusche aufgetragen, die Tränen hatten sie zu einer feuchten, dunklen Paste auf ihrem Gesicht verschmiert. »Die haben mir meinen Nasenring weggenommen«, schluchzte sie. »Sie, sie haben gesagt, er wär nicht christlich .«
    Er intonierte automatisch die Worte – »Ist ja gut, Liebes« –, und auch Andrea intonierte sie, aller Zorn war aus ihrer Stimme gewichen. Vor lauter Mitgefühl wurde der Wagen kurzfristig langsamer, dann trat sie jedoch wieder aufs Gas.
    »Das waren gräßliche Leute – ihr könnt’s euch gar nicht vorstellen. Sie haben einen kerzengerade auf dem Stuhl sitzen lassen, als wär man bei der Marine oder so, und, und...« Wieder brach sie zusammen, und Tierwater drehte es den Magen um. »Und man mußte bei denen beten , bevor man was essen durfte!«
    Das ist ja ein Ding, dachte er – beten, Mannomann! –, aber ehe er diese Information noch recht aufnahm, ehe er sie überdenken und den Blick auf die Implikationen und weitergehenden Konsequenzen dieser Sonderform des Kindesmißbrauchs lenken konnte (»Sie haben dich doch nicht angerührt, oder, Liebes? Ich meine, es hat niemand irgendwie Hand an dich gelegt?«), stieß Andrea einen leisen Laut der Überraschung aus. »Oh, Scheiße!« rief sie und riß abrupt das Lenkrad herum. Im nächsten Augenblick stieß er gegen seine Tochter, und beide rutschten in einer hilflosen Geworfenheit von Körpermasse und fuchtelnden Gliedern über den Sitz. Er packte die Fensterkurbel, um Halt zu finden, aber sie brach in seiner Hand ab, ein weiteres nutzloses Stück Metall.
    Als er das Gleichgewicht wiederfand, sah er, daß

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