Grün war die Hoffnung
aufbleiben, um mir das Theater danach anzusehen, einfach weil alles mehr Spaß machte, als ins Bett zu gehen. Und da war er: Ronald Reagan. Ich war damals neun und hatte keine Ahnung, wer das war – Bedtime for Bonzo, Höllenhunde des Pazifik und all die anderen Filme kannte ich noch nicht. Ich sah ihn nur da stehen, anonym und nichtssagend, auffallend nur die erstaunlich glänzende Haarroulade, die er an den Kopf geklatscht trug, und das Motto des Konzerns, für den er den Hampelmann spielte: Unser wichtigstes Produkt heißt Fortschritt. Klar. Sicher doch. Klingt ja ganz sinnvoll, oder? Wir schreiten voran, erobern und entdecken und entwickeln – Stecker rein, Regler rauf –, und das Leben wird immer besser. Und das Haus, das sie für ihn und seine Frau in Pacific Palisades bauen ließen? Gegensprechanlage in jedem Zimmer, automatische Gardinenzuzieher, Elektrogrill und Elektroheckenschere, drei Fernseher, zwei Herde, drei Kühlschränke, zwei Tiefkühltruhen, Wärmestrahler, Überwachungskameras, Waschmaschinen, Trockner, ein einrollbares Markisendach fürs Essen im Freien. Das war Fortschritt. Ebenso wie den Privatisierungsfan und Umweltmuffel James Watt zum Innenminister zu ernennen.
In meinen Därmen grummelt es: Gasbildung, das wird’s sein. Wenn ich vollkommen still liege, kann sich der Furz durch die zahllosen verschlungenen Windungen und Krümmungen da unten arbeiten und den unvermeidlichen Weg zum Ausgang suchen. Aber was denke ich da? Das ist Methangas, ein natürliches Umweltgift, das gleiche Zeug steigt von Müllkippen, faulenden Nahrungsbergen und Termitenhügeln auf und verbleibt dann zehn Jahre lang in der Atmosphäre, noch ein Furzvoll für den Treibhauseffekt. Ich bin ein Schwein, und ich weiß es. Jüdische Schuldgefühle, katholische Schuldgefühle, umwelt-öko-antikapitalistische Schuldgefühle: ich kann nicht mal in Frieden einen fahren lassen. Natürlich sind Schuldgefühle an sich schon Luxus. Im Gefängnis damals haben wir uns nicht gerade übermäßig um die Umweltzerstörung oder die Rechte der Natur gekümmert – oder auch um sonst irgendwas. Sie pferchten uns zusammen wie die Tiere, und wir schissen und pißten und wichsten und bliesen wahre Hurrikans aus unseren Därmen, und wenn die Welt deshalb zusammengebrochen wäre, um so besser: wenigstens hätten sie uns dann rausgelassen.
Zwischen den Böen legt der Regen an Lautstärke zu, und ich höre zu, wie er geduldig die festgezurrten Dachziegel erodiert (vor zwei Jahren hat Mac ein Stahlmaschennetz über das gesamte Dach schweißen lassen, und bisher hält es stand – hier stehen keine Eimer). Sssssss , zischt der Regen, wie Bratfett in der Pfanne. Andrea schnaubt, murmelt ein paar unverständliche Silben, wälzt sich herum. Noch mehr Regen. Ein unidentifiziertes Flugobjekt schlägt krachend gegen die Hauswand, ein dumpf nachhallendes Dröhnen, das die fleischfarbenen Figuren in der Vitrine zum Klirren bringt (jedes der Gästezimmer ist im Stil einer Ära der Rock-Geschichte dekoriert – wir schlafen im Grunge Room, komplett mit Nachbildungen von Nirvana, Soundgarden und Pearl Jam in voller Aktion, außerden hängt eine gerahmte Locke von Kurt Cobains Haar über der Bildunterschrift Eine Locke von Kurt Cobains Haar ). Der reinste Wahnsinn. Wie soll ich dabei schlafen? Wie kann irgendwer dabei schlafen? Wie schaffen das Andrea, April Wind, Mac, Chuy, Al & Al?
Oder noch wichtiger: wie schaffen es die Tiere? Ich geb’s ja zu, ich mache mir wirklich Sorgen um sie, oder wieder jedenfalls, weil das nun mal so ist mit der Schlaflosigkeit – das Gehirn ist ein gewissenhaftes Organ und wartet stets mit etwas Neuem auf, um den unvermeidlichen Sendeschluß hinauszuschieben. Plötzlich ist es sehr still, zwischen zwei Atemzügen von Andrea treibt der Wind kurz den Regen ab, und ich schwöre, ich kann zwei Etagen unter mir einen der Löwen husten hören. Das bilde ich mir nicht ein – da ist es schon wieder. Klingt, als ob’s Amaryllis wär. Ich kann sie mir da unten vorstellen, wie sie ihr neues Quartier erkunden, Wände markieren, Möbel ausweiden, Teppiche zerfetzen, es sich gemütlich machen.
Das Erstaunliche ist, daß niemand verletzt wurde.
Die vielen Klauen, die vielen Zähne, Hunderte Kilo von Ungestüm und Widerspenstigkeit, dazu der Wind, der zum Tornado wurde, das Wasser hüfthoch, die Strömung bereits beträchtlich, und ich mit meinen fünfundsiebzig Jahren und dem schlimmen Knie, einem kaputten Rücken, einem angenagten
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