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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sind immer über Gebühr erfüllt worden im Lauf der fünfundsiebzig Jahre voller Scheißgewitter und Pechsträhnen, die bis jetzt mein Leben ausgemacht haben. Bestenfalls erwartete ich mir drei ersoffene Löwen; und schlimmstenfalls sah ich Chuy mit abgetrennten Gliedmaßen vor mir und mich mit derart umarrangierten Gedärmen, daß ich in der Notaufnahme echte Betroffenheit ausgelöst hätte. Und deshalb trug ich neben der Betäubungspistole auch die Nitro Express von Philip Ratchiss über der Schulter.
    Meine Hände bebten (vom Alter, der Schüttellähmung, dem Sake-Zitterich, unverhülltem Entsetzen – oder allem zusammen), als ich zu zielen versuchte, und der erste Pfeil schnellte los wie ein Marschflugkörper, flog hoch über die Löwen hinweg, aus dem Gehege hinaus und in das dichte Gewebe des windgepeitschten Himmels. Die Löwen brüllten. Chuy stieß Yippierufe und Juchzer aus und ließ das Lasso weiter kreisen. Ich nahm meine Bifokalbrille ab und wischte sie an dem Tuch in meiner Brusttasche trocken, so ziemlich das einzige an mir, das nicht klatschnaß war, dann legte ich für einen zweiten Schuß an, während mir das Wasser von der Nasenspitze troff wie ein Gebirgsquell, meine Finger langsam taub wurden und die Welse mir die Hosenbeine hochkrochen, und drückte ab, voller Verzweiflung, Enttäuschung und etwas, was viel mit Haß zu tun hatte – Haß auf die Tiere, auf Mac, auf den US-Wetterdienst und all die Verschmutzer und Verwüster und Industriebonzen, die Chuy und mich und die Löwen bis zu diesem absurden, demütigenden Moment in der Geschichte der Beziehungen zwischen Mensch und Tier getrieben hatten.
    Es gab ein Geräusch wie der siegreiche Wurf in einer Kissenschlacht – ein leises Fummp! –, und da war er, der Betäubungspfeil, er hing von Dandelions Flanke herab wie – tja, wie eine fette Wespe. Er drehte sich um und schnappte danach, wirbelte zwei-, dreimal im Kreis, stieß ein eher verdutztes als zorniges Fauchen aus, und dabei schubste er versehentlich Amaryllis vom Dach herunter und in den kalten Strudel des schlammigen Wassers. Das gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht. Erfreulicherweise aber ließ sie ihr Mißvergnügen nicht an Chuy – oder mir – aus, sondern kraxelte statt dessen zurück auf das Dach und versetzte Dandy einen Prankenhieb, der jedem Zebra oder Weißschwanzgnu das Rückgrat gebrochen hätte (falls es diese Arten noch gäbe), bei ihm jedoch nur der Wirkung des Medikaments nachhalf und ihn einknicken ließ. Und nun kamen Chuys Lassofertigkeiten ins Spiel. Er war ein Meister, keine Frage: das Seil sauste davon, wurde vom Wind erfaßt und in einer elliptischen Flugbahn bis haargenau über Dandys Kopf getragen, wo es leicht wie eine Schneeflocke herabsegelte.
    Der Rest war einfach. (Das ist natürlich relativ gemeint – im Vergleich zu der Woche davor, als ich wenig andere Sorgen hatte als die Frage, was ich zum Lesen aufs Klo mitnehmen oder welche Suppendose ich zum Abendessen öffnen sollte, war das hier der siebente Kreis der Hölle.) Chuy zurrte das Lasso fest, watete zu mir und blieb am offenen Tor des Geheges stehen, um zu sehen, was passierte – und um das Tor zuzuwerfen, falls irgendwas schiefging. Ich stapfte zum Olfputt zurück, die Strömung riß an meinen Altmännerbeinen, der Wind klatschte mir eine Bö nach der anderen ins Gesicht, aber langsam schaffte ich es zum Wagen, kletterte auf den Rücksitz und konnte mit einiger Mühe auch die Tür zuziehen. Die beiden Als saßen vorn und betrachteten mich mit der Miene, die sie für diejenigen reservierten, die sich Mac mehr als zwei Meter näherten. Sie wirkten grimmig und mißtrauisch, aufgeblasen wie Ochsenfrösche, ihre schrankartigen Schultern ragten titanenhaft aus den schwarzen Regenmänteln, die Mac ihnen besorgt hatte. Außerdem wirkten sie verängstigt. »Was jetzt?« sagte der Al am Lenkrad.
    Ich sah über die Schulter zu Chuy zurück, der mir, teilweise verschleiert durch den Vorhang des schräg fallenden Regens, mit hochgereckten Daumen das Zeichen zum Loslegen gab. Ein Windstoß riß an dem Geländewagen. »Leg den Klettergang ein«, sagte ich, immer noch zu Chuy umgedreht, »und fahr den Abhang rauf, schön langsam.«
    Der Wagen setzte sich in Bewegung, das am Abschlepphaken befestigte Seil spannte sich, und im nächsten Augenblick sah ich weit hinter uns Dandelions massige Gestalt das Dach hinunterkippen und unbeholfen ins Wasser klatschen, alle vier Pfoten ausgestreckt wie das Fahrwerk eines

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