Grün war die Hoffnung
–, als wäre sie im Dunkeln erschrocken oder aus dem Bett gefallen. Nicht etwa »Oh, verdammt« oder »Oh, Scheiße«, nur »Oh«. Jane fluchte nicht, brachte es nicht über sich, und obwohl sie alle beide so taten, als wären sie hart und mit allen Wassern gewaschen, weil man eben so war, obwohl sie unzählige Chillums voll mit Unmengen von Gras geraucht und sich in dunklen, überheizten Discos und auf wüsten Open-air-Konzerten die Lungen heiser gebrüllt hatten, war Jane doch im Kern das brave Mädchen aus der Kleinstadt. Tierwater dachte immer, wenn sie ihn nicht kennengelernt hätte, wäre sie sicher die Sorte Frau geworden, die im Elternbeirat saß und mit Schleierhütchen und weißen Handschuhen zur Kirche ging. Und das gefiel ihm, das liebte er so an ihr. Die Welt war voll von Obszönität, voll von knallharten Typen, Antichristen und Spinnern – das brauchte er nicht. Nicht zu Hause. Nicht bei seiner Frau.
»Oh!« rief sie und sprang hoch, als ob sie etwas gestochen hätte. Von wegen als ob – denn genau das war geschehen. Eine Biene hatte sie gestochen. Nein, keine Biene – eine Faltenwespe, Vespula maculifrons , einer der gelbschwarz gestreiften Brummer, die landläufig als »Fleischbienen« bekannt waren, wegen ihrer Vorliebe für Hamburger, Steaks und Koteletts frisch vom Grill. Ganz zu schweigen von Aas.
Es war beinahe komisch. Ein Wespenstich. Das Unglaubliche daran war, daß Jane ihr gesamtes Leben, volle fünfundzwanzig Jahre, hinter sich gebracht hatte, ohne je gestochen worden zu sein – ihre Mutter konnte sich jedenfalls nicht erinnern. Deshalb war es gar nicht komisch, bedeutete nicht die kleine Unannehmlichkeit, die es für neunundneunzig Prozent der Menschheit bedeutete, für die nichtallergischen und resistenten Glückspilze. Für sie aber bedeutete es den Tod, nicht mehr und nicht weniger. Auch wenn dies Tierwater, der noch vollkommen versunken war in das Glück des naturnahen Daseins und ins Kauen seiner mittelschwarzen Buchweizenfladen, nicht gleich klar war. Er stand auf, selbstverständlich, stellte den Blechteller ab und ging zu ihr, das Feuer qualmte, die Bäume tropften, die erschlagene Wespe lag rücklings auf der Erde und strampelte mit den sechs moribunden Beinchen, als wollte sie auch in Zukunft noch stechen.
Jane war knallrot im Gesicht. Ihre Augen sanken tief in die Höhlen und sprangen ihm entgegen wie zwei harte schwarze Bälle. Sie zwinkerte unkontrolliert. Rang heftig nach Atem. All das, und er begriff immer noch nicht, hatte keine Ahnung, nicht einmal eine vage Vorstellung davon, daß in diesem Moment alles, was er als sein bisheriges Leben kannte, den Bach hinunterging. »Was ist denn?« fragte er und schlug einen scherzhaften Ton an. »Ein Bienenstich? Oder was?«
Sie konnte nicht antworten. Er nahm sie in die Arme – was konnte er sonst schon tun? Vom anaphylaktischen Schock, von Epinephrin oder Histaminen hatte er noch nie gehört, seine Kenntnisse in Erster Hilfe und Wiederbelebungsmaßnahmen waren gleich Null, und er war siebzehn Kilometer von der nächsten Straße entfernt. Und außerdem war es ja nur ein Bienenstich . Ja, sicher, aber während er sie festhielt, sprang ihr das Herz geradezu aus dem Brustkorb heraus, und dann machte sie sich naß, der warme Urin rann ihr als Rinnsal das schmutzige Bein hinunter, es roch wie Essig in einer heißen Pfanne, und nun lag sie am Boden, auf der Seite, und erbrach die schwärzliche Paste der Pfannkuchen. Wasser, er brachte ihr Wasser und strich das Haar aus ihrem Mund, aber da war nichts mehr in ihren Augen, und sie war so kalt wie der Boden, auf dem sie lag.
Er wußte nicht, wie lange er bei ihr gesessen und versucht hatte, ihr abwechselnd den Puls zu fühlen und ihr trotz seiner schmerzenden Lungen Luft in den Hals zu pressen, sie sollte wieder atmen, sich rühren, aufstehen und den Krampf lockern, zum Teufel! Dann gingen ihm Gebete durch den Kopf, die Gesichter von Toten. Ora pro nobis , und obwohl – oder gerade weil – er von Panik erfüllt war, konnte er sich nicht überwinden, sie zu bewegen, auch als der feuchte Nebel zu Nieseln und das Nieseln zu Regen wurde. Endlich aber – es mußte bereits spät am Nachmittag sein – hob er sie aus dem Schlamm und legte sie sich über die Schulter, keine Last der Welt war schwerer, kein Wackerstein oder Bleigewicht oder alle Gebirge der Gegend, die am Horizont ordentlich gestaffelt nach Kanada davonmarschierten. Den Pfad entlang, bis zur Abzweigung, auf der Straße
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