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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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genug gegessen hätte? An den Fenstern glänzten Wasserperlen. Sevry Peterson, die Besitzerin des konkursreifen Papierwarenladens im Einkaufszentrum, saß vor meinem Schreibtisch im hoffnungslosen Chaos meines Büros und erklärte mir gerade, wieso sie mit der Miete sechs Monate im Rückstand war. Ich winkte ab, packte meine Jacke und ließ den Mustang die ganze Fahrt bis ins Krankenhaus röhren.
    Sierra saß im Wartezimmer, als ich eintraf, und wirkte verdrießlich in ihren Leggins, den dicken Stricksocken und dem viel zu großen rosaschillernden T-Shirt, das sie unbedingt alle drei Tage anziehen mußte. Zu ihrer einen Seite saß Mrs. Martini, die Schulkrankenschwester, auf der anderen ein riesiger fetter Mann in Sandalen und einem schmutzigen weißen Sweatshirt. Der fette Kerl betupfte sich dauernd die Stirn mit einem blutgetränkten Stück Stoff und stöhnte leise vor sich hin, und Mrs. Martini war starr wie eine Leiche und las im People Magazine . Sierras Blick hellte sich auf, als sie mich hereinkommen sah, wurde aber sofort wieder kalt, als ihr einfiel, daß Fleischessen gleich Mord und ich, ihr Vater, der schlimmste aller Mörder war. Und was dann?
    Dann fuhren wir nach Hause, und sie rührte in ihrem restlichen Leben nie wieder ein Stück Fleisch an.
    Macs Haus – sein Lustschloß, sein Versailles, seine überdachte Stadt – wurde in den Neunzigern erbaut, jener letzten Ära des Exzesses in einer Reihe von vielen. Es verfügt über drei Speisesäle, achtzehn Schlafzimmer, zweiundzwanzig Badezimmer, das bereits erwähnte Geschenkeverpackungszimmer, einen Theatersaal, Fitnesscenter, Schwimmbad, Sporthalle, Bowlingbahn, nicht zu reden von der Garage für zwanzig Autos und etliche Gästehäuser, die in dem verstreut stehen, was einst eine gepflegte Gartenanlage war. Es gibt genügend Platz für alle – Andrea, April Wind, den Geist von Sierra, Dandelion, Amaryllis und Buttercup, Flüchtlinge von den Apartmentbauten (obwohl sich noch keine gemeldet haben und der Sturm weiterwütet), die beiden Als, Mac und seine Sammlung von Gazemasken, sogar für Chuy ist Platz, der aber darauf besteht, in der Garage unter dem Oldtimer-Dodge zu schlafen. Und, wie ich gerade feststelle, es gibt auch Nahrung. Mac hat mich am Arm aus dem Speisezimmer gezogen, und jetzt folge ich seinen herabhängenden Schultern einen langen Gang entlang zu einem Fahrstuhl mit Türen aus gehämmertem Messing. »Es ist unten«, sagt er, zieht eine Maske aus der Tasche und hält sie mir hin.
    Was soll ich sagen? Ich nehme die Maske und streife sie mir wortlos über. Meine Rolle hier ist die des zornigen alten Mannes, und ich lasse meine mächtig funkelnden Augen das Reden übernehmen. Wir fahren hinunter, dann öffnen sich die Türen auf einen weiteren Gang, magentarote Läufer, versenkte Punktstrahler und wahrscheinlich die letzte Mahagonitäfelung, die auf der Erde eingebaut wurde. Bei dem Durcheinander am Vortag hatten wir die Warzenschweine und Pekaris in die Bowlingbahn getrieben, die hier irgendwo in der Nähe sein muß, denke ich, und obwohl ich von den Löwen nichts höre, kann ich sie riechen. Bestimmt schlafen sie gerade – selbst in der Natur, das heißt: als es noch eine Natur gab, schlafen erwachsene Löwen gut zwanzig Stunden am Tag. Ich kann sie mir vorstellen, wie sie zwischen den Fetzen und Bruchstücken der zerlegten Möbel herumliegen wie Leichname, und nur das sanfte Heben und Senken ihrer Bäuche verrät sie. (Es ist ein verrücktes Bild, ich weiß, die ganze Sache hier ist verrückt, aber willkommen zum Leben im 21. Jahrhundert. Und wieso soll gerade ich mich beklagen – ich lebe ja noch, oder? Wenn man das so nennen möchte.)
    Macs Schultern pumpen, der Schlapphut reitet obenauf. Wir nehmen einen Korridor nach rechts, biegen links in einen anderen und stoßen dann durch die Schwingtür der unteren Küche. Mac tastet nach dem Lichtschalter und erweckt schlagartig eine Welt aus blinkenden Küchengeräten zum Leben: Töpfe, Siebe, Schneebesen und Reibeisen, die über Edelstahlarbeitsplatten von der Decke hängen, ein riesiger Geschirrspüler im Großküchenformat, die polierten Türen eines begehbaren Gefrierschranks. »Jetzt paß mal auf«, sagt Mac mit von der Gaze gedämpfter Stimme, dann zieht er die rechte Tür auf. Sofort werden wir von einer herauswallenden Wolke aus tiefgekühlter Luft eingehüllt. Ein weiterer Lichtschalter erhellt das Innere der Kammer, und wir sehen die an Haken aufgereiht hängenden Kadaver, die

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